"Unbestimmtheit" als Falle des interreligiösen Dialogs
Die Veröffentlichung eines Dokuments hat vor kurzem das Ergebnis einer historischen Begegnung festzuhalten versucht: Wichtiges Zusammenkommen von Papst und Großimam, Mohammad Al-Tayyeb.
Der Inhalt dieser Erklärung besagt, dass die beiden religiösen Instanzen der internationalen Politikszene nicht gleichgültig gegenüberstehen. Sie sehen (auch) und sie wissen! Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass der Klerus, der sich auf der Spitze der Pyramide von zwei großen Weltreligionen befindet, die Religiosität nicht auf vier Wänden der Kirche bzw. der Moschee begrenzt, was erstmals als ein großer erster Schritt geschätzt werden muss. Darüber hinaus heißt es, dass dieses Bewusstsein sie zu dem Konsens geführt hat, für die Lösung der Weltkrisen solidarisch vorgehen zu müssen. Dafür auch noch absoluter Respekt! Dazu aber noch zwei wichtige Kritikpunkte:
1. "Die gemeinsame Erklärung zur Geschwisterlichkeit aller Menschen", unterzeichnet von dem Papst und dem Großimam spricht aber über die "Welt" so abstrakt, ungegenständlich und vage, dass jeder Mensch und jede Institution unabhängig von allen möglichen Blickwinkeln zustimmen würde/könnte. Im ganzen Text fehlen konkrete Kritiken, klare Positionen und ja sogar ein einziger Eigenname. So ist am Ende ein triviales Schwarz-Weiß-Schild von Aussagen über Krieg, Frieden, Verbrechen und Toleranz entstanden, das keinem ein Dorn im Auge ist, unter anderem auch selbst den Menschenrechts-Verletzenden. Alle dort beschriebenen gesellschaftlichen Themen werden durchaus in Diskursen behandelt, die keineswegs „die Dinge an sich“ zum Ausdruck bringen, sondern in ihrer Versprachlichung zwangsläufig perspektivisch (wenn nicht parteiisch) sind. Die Unbestimmtheit der Sätze in der gemeinsamen Erklärung aber bedeutet, dass sie für die aktuelle (Dis)komposition unserer realen Welt keine angemessene optimale Lösung anbietet. Natürlich wäre unfair zu erwarten, dass bereits am Start eines sog. interreligiösen Dialogs die heiklen Themen v. a. die, die ihren Ursprung in der Religionsauffassung des Islam (Frauenrechte) bzw. des Christentum (Zölibat) haben, debattieren zu wollen, aber es sollte auch bedacht werden, dass so eine unkonkrete Erklärung maximal eine Vor-Einleitung für ein enormes Konzept sein kann. Dieser Punkt wird stärker bestätigt, indem wir uns an die Macht der religiösen Geistlichkeit (Muslime und Christen) und die Macht der Spiritualität generell erinnern.
2. Heute lässt sich unter den namentlich "muslimischen" Ländern (denken wir an Indonesien, Türkei, Iran und Saudi Arabien) kaum ein einziger gemeinsamer Standpunkt über die menschlichen Krisen finden, da so gut wie keine gemeinsame islamische Weltanschauung existiert. Wie kann bei so einer starken Divergenz Scheikh Mohammad Al-Tayyeb als Repräsentant aller Muslime dastehen? Wie viel Prozent der Muslime weltweit (im Allgemeinen) sowie Muslime in Europa (im Besonderen) würden sich politisch-weltanschaulich vom Großimam der Al-Azhar Al-Sharif Universität vertreten lassen? Da bleiben höchstwahrscheinlich die Muslime der Königshäuser vom Gastland (Vereinigte Staaten von Emirat) und die des Nachbarlandes (Saudi-Arabien), nämlich ausgerechnet das Zentrum des Wahhabitischen Islam, das das stärkste Sprachrohr des Islam und so am meisten das Islambild des Westens geprägt hat. Also bevor ein erfolgreicher interreligiöser Dialog in Gang gesetzt und gelingen wird, sollten beide Dialogpartner zunächst die Diversität innerhalb der eigene Religion anerkennen und die Verantwortung einer Pluralität gerechten Vertretung übernehmen.
Fatemeh Taheri
Foto: Eissa Al Hammadi (Ministry of Presidential Affairs)
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zugänglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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