Die syrisch-orthodoxe Gemeinde ist, gemessen an der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, recht alt. Die Syrer, wie die Angehörigen der zu den altorientalischen Kirchen zählenden Christen auch genannt werden, bilden mit Abstand die größte Gemeinde deutsch – orientalischer Christen deutschland- und wahrscheinlich auch europaweit. Schätzungen gehen allein in Deutschland von ca. 120.000 Mitgliedern aus, die bereits in der vierten Generation im Herzen Europas eine neue Heimat gefunden haben. In den 60er Jahren kamen viele nach Deutschland, um hier Arbeit zu finden. Hauptsächlich stammen sie aus dem anatolischen Raum, dem traditionellen Siedlungsgebiet der Suryani oder Suryoye (Assyrer – Aramäer – Chaldäer), wie sie in der heutigen Türkei, aber auch in anderen Regionen des Nahen Ostens religiös – identitätsstiftend im gebräuchlichen Sprachjargon genannt werden. Der Begriff Assyrer hingegen ist dem nationalen Erweckungsgedanken nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches geschuldet. Die Assyrer werden als Ethnie z.B. in Georgien, Armenien, dem Irak oder dem Iran anerkannt. Der Nationalgedanke einer aramäischen Identität, als ethnisches Merkmal, entstand erst in der Diaspora und war eine Gegenentwicklung zum Säkularismus der assyrischen Nationalbewegung, die vor und nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Gebietes von den Briten und Franzosen reichlich instrumentalisiert wurde. Der aramäische Nationalgedanke ist dennoch, wenn auch in geringer Form, genauso wie die assyrische Identität durch das Praktizieren des Glaubens weiterhin mit den verschiedenen Kirchen nahöstlicher Denominationen verbunden. Eine Tatsache, die sich leider gerade Despoten in nahöstlichen Ländern, ähnlich wie einst Briten und Franzosen, zu Eigen machen. Doch auch in Deutschland kann es passieren, dass Parteien oder populistische Strömungen versuchen einzelne christliche Gemeinden, gerade wegen der sensiblen Haltung vieler deutsch – orientalischer Christen zu den puritanischen Formen des Islam, für ihre (Wahlkampf) – Zwecke zu missbrauchen. Dabei geht es ihnen nicht um die Integration der Menschen, von denen viele neu angekommene Flüchtlinge sind.
Gerade die Kriege der letzten Jahre haben die Zusammensetzung der Gemeinden verändert und werden diese weiterhin nachhaltig, zumindest kulturell und sprachlich, umgestalten. War früher die vorherrschende Sprache das Westaramäisch, so hört man heute zunehmend Ostaramäische Dialekte in den Gemeinden. Benutzte man früher als Umgangssprache das Türkische oder Kurdische, so ist es heute Arabisch in verschiedensten Dialekten bis hin zu Farsi. Mit diesen Veränderungen kommen auch politische Einstellungen, Traditionen und kulturelle Normen hinzu, die z.B. vor 20 Jahren zu dem Wunsch führten, in Augsburg eine eigene Kirche zu haben. Sich zu integrieren, aber ohne die kulturellen und religiösen Wurzeln in der Gänze abzustreifen, eingebettet in einem fortwährenden Veränderungsprozess, war und ist eine Erfolgsgeschichte Europas. Die meisten Bürger mit christlich – nahöstlichen Wurzeln sind bestens integriert, auch wenn sie arabische oder türkische Nachnamen tragen. Bereits die zweite Generation schaffte den Sprung in die Bildungsgesellschaft mit überproportional vielen Akademikern, Unternehmern und im Besonderen technisch versierten Fachkräften. Dabei liegt der markante Unterschied zu Einwanderern muslimischen Glaubens nicht in der Kultur oder Tradition, von der Religion abgesehen. Es ist, so jedenfalls die Ansicht in vielen Gemeinden, dass mit der Ankunft im Westen mit der alten Heimat abgeschlossen wurde und nun ein neuer Abschnitt beginnt. Innerhalb dieses Prozesses haben die deutsch – orientalischen Christen einen immensen Vorteil. Es ist ihr Glaube, welcher sie in ihrer Umgebung einfacher ankommen lässt, weil er von der Bevölkerung eher akzeptiert wird als z.B. der Islam. Das ist ebenfalls eine bittere Wahrheit, der man sich stellen muss. Denn auch wenn Politiker oder Medien oft etwas anderes hören und sehen wollen, so hat ein nicht unwesentlicher Teil Vorbehalte, was den Islam angeht. Das fängt bei der Politisierung des Kopftuches an und endet bei der Debatte um die Rassismusvorwürfe eines deutschen Nationalspielers mit türkischen Wurzeln.
Dabei könnte die hiesige Politik, aber auch die deutsch – muslimische Community, viel vom Integrationsprozess deutsch – orientalischer Christen lernen. Bei den diesjährigen Festlichkeiten zu Maria Himmelfahrt, bei denen gleichzeitig das 20-jährige Bestehen der syr.-orth. Gemeinde in Augsburg gefeiert wurde und für das Erzbischof Mattias Nayis eigens angereist war, sieht man kaum eine Frau in der Kirche, die kein Kopftuch trägt. Niemand zwingt die jungen Mädchen oder Frauen, das Tuch über die Haare zu legen. Es ist ein traditioneller Akt, der auch etwas mit der Ehrung und dem Respekt gegenüber den eigenen Werten und der Religion zu tun hat. Doch keine der Besucherinnen würde darauf kommen, das Tragen des Kopftuchs in oder sogar außerhalb der Kirche zu politisieren und dies für eine eigene Politik zu missbrauchen, welche eben nicht im Einklang mit den freiheitlichen Werten des Landes steht.
Letztendlich kann man daraus den Rückschluss ziehen, dass es Zeit wird, den Islam zu entpolitisieren. Im gleichen Atemzug ist die Tatsache zu erkennen und zu akzeptieren, dass Bürger diese Landes, Deutsche mit Migrationshintergrund und verschiedenen islamischen Strömungen folgend, fester, integraler und ein zunehmender Bestandteil unserer Gesellschaft sind und sein werden.
Globalisierung, demographische Entwicklung und eine weltweite Migration sprechen für sich. Es würde auch für den zivilisatorischen Grad einer Gesellschaft sprechen, Fakten zu akzeptieren und zu versuchen, gemeinsam mit allen Bürgern eines freien Europas, Lösungen zu finden.
Simon Jacob
Augsburg, 15. August 2018
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Bilder: Simon Jacob
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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