Ibrahim und der Granatapfelbaum
Die Provinz Hatay mit der Regionalhauptstadt Antakya bildet ein Zentrum des rum –orthodoxen Glaubens. Die Stadt ist umgeben von zwei Kerngemeinden dieser byzantinischen Kirchen, welche ein lebhaftes Leben führen. Ibrahim Bayrakci, 65 Jahre alt und immer noch ziemlich fit auf den Beinen, gehört einer dieser Gemeinden, in Altinözü – Sarilar, an.
Ibrahim, der auf Grund seines Studiums in den 70er Jahren einige Zeit in Deutschland verbracht hat und noch ein bisschen Deutsch spricht, ist eine wahre Frohnatur. Sogleich kommt er auch auf die Situation der Flüchtlinge zu sprechen. Die 50 Familien des christlichen Dorfes haben mehreren Flüchtlingen aus Syrien eine Unterkunft gegeben. Dies wäre ihre christliche Pflicht, so Ibrahim. Darüber hinaus startete die Gemeinde Aktivitäten, um den syrischen Bürgern ein Einkommen als Erntehelfer zukommen zu lassen. Dabei betont der Grundstücksbesitzer, dass den Geflohenen der gleiche Lohn wie Einheimischen gezahlt wird. „Wir sind eben auch Demokraten“, betont er kurzerhand noch einmal. Auf die Frage, ob es dadurch Spannungen im Dorf gibt, erhalte ich zunächst ein Nein. Doch ganz lässt sich das nicht ausschleißen, wie wir später erfahren. Trotzdem sieht man die Flüchtlinge, denen man helfen sollte, auch aus einem positiven Blickwinkel. Und solange es genug Arbeit für alle gibt, sollte das auch kein Problem sein.
Und zu tun gibt es gerade zur Erntezeit mehr als genug. Feigen, Tomaten, Gurken, Trauben usw. müssen geerntet werden. Eine Besonderheit in der Region sind die gigantischen und von süß bis sauer schmeckenden Granatäpfel. Überhaupt scheinen diese Früchte der Umgebung Antakyas und der Stadt selber eine besondere Note zu vermitteln. Granatäpfel, zu Sirup verarbeitet, sind Heilmittel und Küchengewürz zugleich. Die Kerne runden einen guten Salat ab. Gerne werden sie auch als Beilage zu Reisgerichten verwendet.
Entsprechend stolz wird uns die Granatapfelplantage gezeigt. Plötzlich bleibt Ibrahim neben einem Baum voll wunderbarer Früchte stehen. Schon von weitem kann man die Süße der Früchte erschmecken.
Genau in diesem Moment verfällt der Mann in einen Zustand der Nachdenklichkeit. Er blickt auf den Boden, dann zu seinen geliebten Früchten. Nimmt einen Granatapfel in die Hand und fragt nach dem Sinn der Ernte, wenn niemand da ist, um diese einzuholen. Er fragt wo sie sind, die Christenkinder, die ihre Heimat verlassen haben. Die Jungen sind gegangen, nur noch die alten sind geblieben. Dabei ist das doch ihr Land.
„Hat man uns vergessen?“, werde ich gefragt.
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Denn die gleiche Frage wird man mir noch öfters stellen, sobald ich weitere Teile der Türkei mit ihren uralten christlichen Gemeinden besuchen werde.
Simon Jacob
Hatay/Antakya – Altinözü – Sarilar, 12.10.2015
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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