Autor: Simon Jacob
Ort: Berlin
Kategorie: Artikel
Rubrik: Gesellschaft
Datum: 25.10.2017
Portal: www.simonjacob.info
Textdauer: ca.10 Minuten
Titel: Altorientalisch-evangelisch theologischer Dialog mit der EKD
Altorientalisch-evangelisch theologischer Dialog mit der EKD
„Was sollen wir tun …“
Der EKD – Ratsvorsitzende Bischof Bedford-Strohm stellte am Ende der zweitägigen Tagung, hoch oben in den Räumlichkeiten des Berliner Doms und in Anwesenheit von vier Patriarchen aus dem Nahen Osten, zahlreicher weiterer hoher Würdenträger sowie Vertreter kirchlicher und karitativer Organisationen, diese eine so gewichtige Frage. So unscheinbar die Worte des Ratsvorsitzenden klangen, so bedeutend, wenn nicht sogar schicksalhaft waren sie doch.
„Was sollen wir tun…?“
Mit ihr richtete er sich direkt an die anwesenden Patriarchen, im Besonderen an den koptischen Papst S. H. Papst Tawadros II sowie S. H. Patriarch Ignatius Aphrem II von der Syrisch-Orthodoxen Kirche, die die schwierige Lage der Christen in Ägypten und Syrien beklagten.
In diesem Zusammenhang hätte man auch fragen können, was man gegen islamischen Extremismus und der Degradierung von Nichtmuslimen machen solle. Man hätte ebenfalls nach der Religionsfreiheit, der Freiheit zur Konversion, der Freiheit an nichts zu glauben, nach der Meinungsfreiheit, der Freiheit der Frau, dem Wesenszug einer freien sexuellen Ausrichtung fragen können.
Alle diese Fragen sind gekoppelt an das universelle Recht eines jeden Menschen, unbeschadet seine Religion praktizieren zu können. In vielen Regionen dieser Welt ist es nicht möglich und es ist bitter immer wieder zu betonen, dass dies gerade in muslimischen Ländern der Fall ist. Dadurch wird eine Debatte um den Islam in den Staaten ausgelöst, in denen die Religionsfreiheit, und das tut sie definitiv, jedem Bürger zugutekommt. Religionsfreiheit ist ein elementarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft, die, fest verankert in einem humanistischen Weltbild, jedem die Möglichkeit gibt, sich spirituell frei zu entfalten.
Ist dies nicht der Fall, wie zum Beispiel in Ägypten, in Pakistan, in Afghanistan, in Teilen des Iraks und inzwischen auch in Syrien, haben Christen und Nichtmuslime die Wahl zwischen der Möglichkeit sich unterzuordnen oder sie fliehen. Dabei können verschiedenste Faktoren Auslöser der Flucht sein. Kriege, wie in Syrien und dem Irak, sind augenscheinliche Gründe dafür. Aber nicht nur. Diskriminierungen im Alltag, fehlender Zugang zum Beamtenwesen oder einfach punktuelle Morde an Christen, wie sie immer wieder in Ägypten zu sehen sind, führen dazu, dass die Brückenbauer des Nahen Ostens einem Exodus gleich die Ursprungsregion verlassen. Mit ihnen verlässt auch ein Stück Wissen, Tradition, Kultur und Vielfalt eine Region, die dies alles jedoch bitter nötig hätte.
Aber was sollten wir nun tun? Spätestens jetzt sollte man die Bedeutung der Frage erkennen, die Bischof Bedford – Strohm an die anwesenden hohen Würdenträger richtete.
Eigentlich kann man diese Frage nicht so einfach beantworten. Zurecht erwähnte Bedford – Strohm, dass auf der einen Seite Verständnis vorhanden ist, wenn Menschen, und besonders Christen, fliehen. Zum anderen ist zu bedenken, dass der Nahe Osten eben jene Brückenbauer so dringend benötigt. Der EKD deswegen einen Vorwurf zu machen ist nicht angebracht und gleichzeitig auch nicht fair. Denn aus eigener Erfahrung vor Ort weiß ich, dass die Evangelische Kirche außerordentlich viel leistet. Das Programm reicht von Zentren für traumatisierte Frauen und Kinder, bis hin zur Betreuung von Flüchtlingsheimen und der Einrichtung von Schulen. Oft geschieht dies im Verborgenen, um sich nicht dem Vorwurf der Missionierung auszusetzen oder Beteiligte in Gefahr zu bringen.
Doch was sollte eine Kirche darüber hinaus denn auch mehr machen?
Offen gesagt, außer dass sie ihren Einsatz in der deutschen Bevölkerung besser kommuniziert, kann sie nicht mehr machen. Sie kann allerdings sehr wohl als Mediator zwischen Betroffenen und Politik dienen, wenn es um die Gesamtlösung der Konflikte im Nahen Osten geht. Und hier kommen wir zu den Kernproblemen, die vom Extremismus islamischer Natur übertüncht und so von vielen Akteuren bereitwillig missachtet werden.
Ein großes Teil des Problems ist die fehlende Auseinandersetzung im Islam mit den allgemein gültigen Menschenrechten, die innerhalb der real existierenden Fakultäten wie z.B. der Al Azhar Universität in Kairo nicht stattfindet. Hier geht es um die Gleichstellung von Muslimen gegenüber Nichtmuslimen. Doch ist es eben nur die religiöse Komponente, die extremistisches Gedankengut befeuern kann.
Korruption, Missbrauch der Macht, eine hohe Verbreitung von Handfeuerwaffen, ungleiche Ressourcenverteilung, Willkür und Folter, Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, hohe Arbeitslosigkeit und die Unterdrückung von Frauen und Homosexuellen tragen ebenso dazu bei. Hinzu kommt die Bevölkerungsexplosion, gepaart mit fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven, und ein striktes gesellschaftlich – patriarchalisches System, welches nur im Kollektiv funktioniert und das Individuum erstickt. Mit der verheerenden Folge, dass aus diesem Grund wissenschaftliche und technologische Entwicklungen fehlen. Zusammen mit dem religiösen Eifer des islamischen Jugend – Pop – Dschihads bildet es eine toxische Mischung, die unter Nutzung westlicher Kommunikationstechnologie (Facebook, Twitter und Co.) ihre explosiven Wellen bis zu uns entsendet.
Sieht man sich nun die Gründe für die Komplexität dieser Konflikte genauer an, stellt man fest, dass die Kirchen, sei es nun die EKD, die Katholische Kirche, die Kirchen des Nahen Ostens oder sonst eine Kirche, das Problem nicht lösen können.
Sie tun ihr Bestes im Rahmen dessen, was ihnen möglich ist. Doch erfordert es, und auch das ist klar und ersichtlich, ein Bündel verschiedenster Maßnahmen, um Flucht und Vertreibung zu verhindern. Maßnahmen, von denen alle Menschen im Sinne einer fairen und gerechten Welt profitieren würden.
Kirchen können diese Maßnahmen ergänzen. Doch werden diesen gewaltigen Kraftakt, der uns noch bevorsteht, nur politische und gesellschaftliche Institutionen stemmen können. Um dieses zu tun, können das Wissen und die Erfahrung der Brückenbauer dieser Welt, und das sind die nahöstlichen Christen nun einmal, von unschätzbarem Wert sein. Jenen, die sich in einen demokratischen Raum integriert haben oder aufgewachsen sind, kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu.
Persönlich bin ich, als Vorsitzender des Zentralrates Orientalischer Christen in Deutschland und freier Journalist, der viel Zeit seines Lebens in den Krisenregionen des Nahen Ostens verbracht hat und dort zur Welt kam, der EKD für die sehr offenen und ehrlich geführten Debatten während dieser zwei Tage dankbar.
Ein weiterer Dank richtet sich direkt an den Ratsvorsitzenden der EKD, Landesbischof Bedford – Strohm, der sich die Zeit genommen hat mit vielen von uns, so auch mit mir, das persönliche Gespräch zu suchen.
Damit zusammenhängend wäre ich erfreut darüber, auch dies ist ein persönliches und ehrlich gemeintes Empfinden, wenn man mehr Fairness im Umgang mit der Leitung der EKD zulassen würde.
Manchmal reicht es einfach sich ordentlich über die verfügbaren Kanäle zu artikulieren, anstatt aufbrausend in den sozialen Medien denen, die viel Verantwortung auf ihren Schultern tragen, einen unberechtigten Vorwurf zu machen.
Dies gilt sowohl für Christen und Mitmenschen nahöstlichen Ursprungs als auch für die hiesigen Mitbürger und die Geschwister-Kirchen.
Simon Jacob
Berlin, 24. Oktober 2017
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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