„Hildegard“, die Konvertitin: „Es ist nur ein Stück Stoff“
Als ich den Gebetsraum der liberalen Moschee betrete, in den mich Seyran Ates führt, bin ich überrascht. In seiner Schlichtheit erinnert er mich mehr an die Kirchen der evangelischen Gemeinden als an eine Moschee. Keine Mosaike, kein Prunk. Eine Dame mittleren Alters befindet sich gerade in dem Raum, um zu beten. Als sie uns bemerkt steht sie auf, um uns zu begrüßen; jedoch nicht ohne vorher zu meinem großen Erstaunen das Kopftuch abzunehmen, ohne dem sie jetzt auf einmal so gar nicht mehr orientalisch aussieht. Noch größer wird meine Verblüffung allerdings, als sie beginnt mit einem Dialekt zu sprechen, der darauf schließen lässt, dass ich es hier mit einer „waschechten Deutschen“ zu tun habe.
Das Kopftuch habe sie schon vor einiger Zeit abgenommen und trage es nur noch zum Beten, erzählt sie mir. Während wir uns unterhalten, gleitet es immer wieder durch ihre Finger. Nachdenklich sieht sie es an und murmelt: „ Es ist nur ein Stück Stoff. Nichts mehr als ein Stück Stoff“. Dann erzählt sie mir ihre Geschichte.
„Hildegard“, wie ich sie zu ihrem Schutz nenne, ist tatsächlich „Deutsche“. Im ländlichen Raum geboren und im Glauben einer der beiden großen Kirchen erzogen, lebt sie das Leben eines normalen Mädchens. Beendet die Schule, macht eine Lehre und arbeitet in einer Führungsposition. Doch all die Jahre hat sie Fragen an ihren Glauben, sucht nach Antworten. „Wieso verehren wir Jesus mehr als Gott selber?“, „Wieso hat Jesus unsere Sünden auf sich genommen, wenn wir uns doch für unser Tun selber verantworten müssen?“ und viele weitere Fragen, bei denen man sich nicht nur seitens der Geistlichkeit um Antworten drückte, weil man nicht diskutieren konnte oder wollte.
Sie besorgte sich einen Koran, der aber zunächst im Regal verstaubte - bis sie eines Tages mit Zeugen Jehovas über den Propheten diskutierte. Um ihre Aussagen zu untermauern, begann sie, den Koran zu lesen und fand für sich Antworten. Hildegard konvertierte zum Islam und trug ab sofort Kopftuch. „Ich habe die Türkinnen immer bewundert, die so still und bescheiden mit dem Kopftuch zu ihrem Glauben standen, wie ich dachte. Anfangs habe ich es wirklich aus dem Glauben heraus getragen, meinte, Allah damit zu gefallen“, erzählt sie und schüttelt dabei nachdenklich den Kopf. Wieder sieht sie das Tuch an und lässt es durch ihre Finger gleiten. „Dabei ist es nichts weiter als ein Stück Stoff.“
Freunde und Familie können den Sinneswandel nicht verstehen, reden auf sie ein, erreichen aber damit genau das Gegenteil. Sie verliert ihre Arbeit, die Anfeindungen und Drohungen gegen sie nehmen zu, werden massiver und konkreter. Schließlich flüchtet sich Hildegard in die Anonymität der Großstadt. Durch das Kopftuch gehört sie hier zur muslimischen Gemeinschaft dazu und findet Arbeit.
Als pflichtbewusste Muslima begibt sie sich auch auf die Hadsch nach Mekka. Ein Erlebnis, bei dem sie wieder nachdenklich wird und ihre Gedanken in die Ferne schweifen. „Du kannst es Dir nicht vorstellen, wie es da zugeht. Dort sind Tausende von Menschen auf einmal. Alle laufen, es wird rücksichtslos um das Vorwärtskommen gekämpft. Ohne Rücksicht auf die Alten und Schwachen, Frauen und Kinder.“ Sie hat erlebt, wie dabei jemand ums Leben kam. Dass Menschen dies auch noch feiern, ist ihr unbegreiflich. Ebenso die Züchtigung mit Stöcken, wenn die Gebetshaltung nicht „richtig“ eingenommen wird, widerstrebt ihr, die im westlichen Kontext aufgewachsen ist.
Als sie die große Liebe findet heiratet Hildegard und bekommt ein Kind. Als gute Mutter habe sie daheim zu bleiben, wird von ihrem Mann befunden. Obwohl sie gerne arbeiten würde, fügt sie sich. Ihrem Wunsch, das Kopftuch ablegen zu dürfen, wird nicht entsprochen. Das gehöre sich nicht für eine anständige Frau, so ihr Mann. Hätte sie damals, als sie sich kennenlernten, kein Kopftuch getragen, hätte er sie nie geheiratet. Also trägt Hildegard das Kopftuch weiter. Doch die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen treten verstärkt zu Tage, beispielsweise die Art und Weise, wie die Frauen die Kinder erziehen – die Jungen zu kleinen Paschas, die Mädchen zu Bedienstete.
Hildegard fühlt sich immer unwohler, doch erst als ihr Mann anfängt das gemeinsame Kind zu schlagen, findet Hildegard die Kraft und den Mut, ihren Mann zu verlassen und einen neuen Weg einzuschlagen. Das Kopftuch hat sie in der Öffentlichkeit abgelegt, ihrem Glauben ist sie dennoch treu geblieben. Für sie bedeutet Islam Friede. „Ich habe Respekt vor den Schöpfungen Allahs, vor der Natur, den Tieren, den Menschen.“ Damit einhergehend ist es ihr egal, welcher Religion oder Ethnie jemand angehört. Was für sie zählt sind die Menschlichkeit und die Liebe gegenüber der Schöpfung. Sie ist froh, die Moschee von Seyran Ates gefunden zu haben. Hier fühlt sie sich verstanden. Nach ihrer Entscheidung das Kopftuch abzulegen, erlebt sie nämlich wieder einen Ausschluss aus der Gemeinschaft, genauso wie damals. Nur diesmal von Seiten der Muslime. Dabei habe sich ihr Glaube nicht verändert. Wieder gleitet das Kopftuch durch ihre Finger. „Das hier, das ist nur ein Stück Stoff. Das hat mit dem Glauben nichts zu tun!“
Daniela Hofmann
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