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Schönblick 2.0 - Christenverfolgung heute – Gedenkt der Märtyrer – Religionsfreiheit weltweit
Der Schönblick – Kongress, ausgetragen im Zweijahresrhythmus und an dem ich erstmalig als Journalist, Aktivist und Podiumsteilnehmer teilnahm, fand im November dieses Jahres zum sechsten Mal statt. Er rückt ein Thema ins Zentrum des Geschehens, welches, jedenfalls aus dem Blickwinkel praktizierender wie auch nichtpraktizierender Christinnen und Christen aus aller Herren Länder, weltweit zu wenig Beachtung findet.
Das Thema Religionsfreiheit, zusammenhängend mit der Freiheit zu Konvertieren oder auch nichts zu glauben, schien in einer westlich – säkularen Welt spätestens seit der 68er Bewegung nicht mehr relevant zu sein. Denn das Primat einer demokratischen Gesellschaft bildet das Recht auf individuelle Entfaltung, ohne einer Religion eine zu tiefe Beeinflussung zu gewähren und unabhängig des Geschlechts oder des Glaubens. In Folge veränderte sich auch der Diskurs gegenüber den traditionellen Kirchen in Deutschland und Westeuropa in der Gänze. Dies führte dazu, dass man das Gespenst der „Religionskriege“ bzw. konfessionelle Konflikte als ein Relikt der Vergangenheit betrachtete - trotz des Nordirlandkonflikts auf europäischem Boden, der erst, und dies mit Hilfe der EU, in den 90er Jahren befriedet werden konnte. Damals, in meiner Jugendzeit, in der ich mich bereits intensiv für politische Themen interessierte und geprägt durch mein Elternhaus alles beobachtete, was mit Religion zu tun hatte, wunderte ich mich darüber, dass in Europa religiöse Konflikte ausgetragen werden. Weit weg erschienen mir augenscheinlich konfessionelle Auseinandersetzungen, die meine Eltern 1980 dazu bewogen hatten, mit mir als zweijähriges Kind die angestammte Heimat in der Südosttürkei zu verlassen. Hier waren die letzten verbliebenen Christen zwischen die Fronten des kurdischen Partisanenkrieges und dem türkischen Militär geraten. Nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs, den Anschlägen am 11. September 2001 in New York, dem völkerrechtswidrigen Einmarsch der USA in den Irak 2003, dem sogenannten „Arabischen Frühling“ und seiner geopolitischen Folgen mitsamt einer neuen Art der Kommunikation, die scheinbar den allgemeinen Diskurs der Gesellschaft in „Filterblasen“ vor sich hertreibt ohne eine Antwort auf „Fake News“, „Alternative Medien“ und „Hate – Speech“ zu finden, muss man sich heute die Frage stellen, ob Religion wieder in Erscheinung tritt und wenn ja, ob dazu ein Kongress wie dieser alle zwei Jahre nötig ist, der das oft ignorierte Leiden verfolgter Christen ins Zentrum stellt.
„Ja“ und „nein“, sofern man die Situation innerhalb der zeitlichen Abfolge, im Besonderen im Zusammenhang mit der exponentiellen Verbreitung wahrer und falscher Nachrichten im digitalen Äther betrachtet, welcher nicht erst seit der perfiden Marketing – Kampagne des sogenannten „Islamischen Staates“ in unsere Kinderzimmer und tagtäglichen Gedanken eingedrungen ist.
Für mich als deutscher Staatsbürger mit nahöstlich – christlichen Wurzeln offenbarte sich durch die zunehmende Verfolgung christlicher wie auch anderer Glaubensgemeinschaften ein Schrecken, den ich im sicheren Deutschland mit der Flucht meiner Eltern, nach Jahrhunderten der Verfolgung und Unterdrückung unter der Knute der „Scharia“ und dem Genozid an der christlichen Bevölkerung im Osmanischen Reich zwischen 1915 und 1918, als überwunden geglaubt hatte. Die Realität in Form eines generationsübergreifenden Traumas und eingebettet in die historische DNA meines „Ichs“, ließ nichts anders zu, als dass in mir eine Wut hochkochte als ich die grauenvollen Bilder extremistischer Gotteskrieger sah, die genüsslich und ohne Reue Menschen abschlachteten und Christen wie auch alle anderen, die nicht ihrem „wahren Glauben“ folgten, zu Kuffars, zu Menschen zweiter Klasse deklarierten. Und wahrschlich geht es 100.000nden in Deutschland lebender nahöstlicher Christen nicht anders.
In den Anfangsjahren dieser Wut, dieser gefühlten Ohnmacht und der augenscheinlichen Ignoranz der westlichen Welt gegenüber den mordenden Wesen, die scheinbar ohne ersichtlichen Grund so grausam töteten, war es eher meine subjektive Wahrnehmung die die Oberhand gewann und den mitteleuropäischen Diskurs, die notwendige rationale Sichtweise in einer tiefen, schwarzen und lichtlosen Hölle zurückließ. In dieser Zeit, am Anfang meiner journalistischen Aktivitäten in Zusammenarbeit mit bekannten Printmedien und den öffentlich – rechtlichen Medienanstalten, traf ich 2012 bei einer Veranstaltung gegen Christenverfolgung in meiner Heimatstadt Augsburg den Menschen, der wegweisend für die Ausrichtung des Kongresses und Schirmherr der Veranstaltung ist. Und an diesem Tag, in meiner beschaulichen Heimatstadt Augsburg, durfte ich als Vertreter der Syr.-Orth. Kirche, nachdem Herr Volker Kauder seine Sichtweise offenbart hatte, „losbrüllen“.
Und das tat ich auch - in Anwesenheit hoher Geistlicher und Würdenträger, kommunaler Politiker und eben auch dem Schirmherr des Kongresses, an dem ich dieses Jahr zum ersten Mal teilnahm. Volker Kauder, dem Hauptredner der damaligen Veranstaltung, muss meine Ausdrucksweise, die sehr offensiv und emotional war, als nicht gerade hilfreich erschienen sein - waren meine Ausführungen doch voller Anschuldigungen gegenüber der westlichen Politik, angereichert mit Superlativen, die zwar, heute würde man sie als „populistisch“ bezeichnen, dem anwesenden Volk vielleicht gefallen haben, aber ansonsten nicht viel brachten. Ich betrachtete die Möglichkeit vor allen Anwesenden in ein Mikrofon zu schreien lediglich als Ventil, um meiner Wut freien Lauf zu lassen. Doch mit was für einem Ergebnis? Der Gewinn daraus war, bis auf das kulturell gewohnte Schulterklopfen nahöstlicher Prägung für starke Worte, nicht viel wert. Um ehrlich zu sein: ich hatte nichts dazu beigetragen, um die Situation zu verbessen. Eher hatten sich durch meine Worte die Gemüter erhitzt, was kein positives Resultat war und niemals sein wird.
In den darauffolgenden Jahren begann ich die immense Wut in mir zu hinterfragen und ließ diese, Stück für Stück, der rationalen Wahrnehmung weichen. Die Folge war, dass ich, auch aufgrund der Erfahrungswerte und Vorgehensweise erfahrener Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen, aber auch meiner rationalen Ausbildung in Deutschland geschuldet, die Entwicklungen hinterfragte und ich mich einer Selbstreflektion hingab. Dazu trugen auch meine vielen Reisen in die Krisengebiete des Nahen Ostens bei, die mich manchmal physisch wie auch psychisch fast an den Rand des Zusammenbruchs brachten. Aber eben nur fast. Rationalität, die Konzentration auf die Fakten frei von emotionalen Einflüssen, war die Hälfte meines Schutzschildes, welcher mich vor Schlimmeren bewahrte. Die andere Hälfte war schlichtweg mein Glaube an „mein“ Christentum, welches Vergebung, Hoffnung und Liebe in den Mittelpunkt stellt. Für manche Bürger im Westen, die mit Religion nichts anfangen können, mag das blumig klingen. Doch in einem Kriegsgebiet, umgeben von verbrannten und verkohlten Leichen, ist es sehr real sich an Werte zu klammern, die einen davon abhalten, zerstörerischen Gefühlen und dem Wahnsinn Platz einzuräumen.
v.l.n.r.: Mesut Be Malke (European Syriac Union), Volker Kauder MdB, Nazira Gourye (Co-President of Executive Council of Jazeera Region Democratic Self-Administration, North East Syria), Simon Jacob ( Redaktion Oannes Journalism)
Zwischen meiner ersten und der letzten Begegnung mit Volker Kauder liegen nun inzwischen sieben Jahre. Beim erwähnten Kongress, an dem zahlreiche Organisationen vor allem westlicher Kirchen teilnahmen, hatte ich wieder die Möglichkeit das längere Gespräch in einer größeren Runde zu suchen. Nach diesem fragte ich mich, ob der immer noch sehr aktive „Menschenrechtspolitiker“, welcher Herr Kauder nun einmal ist, sich noch an meinen hochemotionalen Auftritt vor Jahren erinnerte. Bei der Anzahl an Veranstaltungen, die er die letzten Jahre absolviert hat, wahrscheinlich eher nicht. Aber ich erinnerte mich daran. Und das muss ich, da ich an die Auswirkungen denke, die mein Handeln und meine Worte womöglich ausgelöst haben. Die Wahrheit auszusprechen ist kein Fehler. Doch leben wir, lebe ich, Gott sei Dank, in einer Gesellschaft, in der wir zwar streiten, heftig debattieren, Auseinandersetzungen haben und diese einem auch manchmal den letztem Nerv, wenn nicht sogar Freunde, kosten können. Doch können wir auch zurecht darauf stolz sein, dies zumindest in Europa und gemäß einer tiefrationalen Vorgehensweise, dass wir uns nicht die Köpfe einschlagen. Das ist keine Selbstverständlichkeit und sollte uns bewusst sein. Und wir können uns auch vor Augen halten, dass das Zusammentreffen tiefer Emotionalität, eine Phalanx in den sozialen Medien erzeugend und einen Keil in die Gesellschaft treibend, die Angst der Menschen vor Extremisten, der Scharia, dem IS, Machokultur… steigert und die Demokratie, im Sinne der Vernunft, herausfordert.
Und weil dem so ist, weil wir uns nie wieder die „Köpfe einschlagen“ sollten, weil Religionsfreiheit auch bedeutet frei in Wort und Schrift zu sein, waren die Anfänge des Kongresses in einer Zeit, in der kaum über Christenverfolgung gesprochen werden durfte, von so immenser Bedeutung.
Doch wie sieht es nun heute aus? 2019? In dem Jahr, das laut dem katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ eines der blutigsten für verfolgte Christen überhaupt war?
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Thema Religionsverfolgung, mit der Freiheit des Menschen nicht nach seiner Religion gerichtet, gefoltert, vertrieben oder hingerichtet zu werden, weiterhin im Mittelpunkt stehen muss. Manch ein Regime betrachtet Religionsfreiheit zu Recht als Gefahr für die eigene Dominanz. Dies ist einer der Gründe, weshalb sich autokratische Regime Religion zunutze machen, um die Bevölkerung entweder durch diese gefügig zu machen oder sie zu bekämpfen - denn Religionsfreiheit bedeutet letztendlich auch Freiheit des Individuums.
Eben die Freiheit zu glauben was man möchte oder auch an nichts zu glauben.
Von daher war der Kongress 2019 bemerkenswert. Volker Kauder hielt die Eröffnungsrede und konfrontierte das Publikum auch gleich mit der Forderung, Religionsfreiheit nicht als Eigentum einer Religion zu betrachten. Folglich richtig und absolut berechtigt wies er z.B. auf die Situation der muslimischen Uiguren in China hin. Die Verfolgung von Menschen außerhalb christlicher Konfessionen, und davon gibt es zahlreiche, muss ebenfalls Teil zukünftiger Veranstaltungen solcher Art werden.
Vor Jahren wurde das Eis zu diesem Thema gebrochen. Es ist gesellschaftlich angekommen. Nun wird es Zeit das Format auszuweiten und die Debatten auf den Ebenen zu führen, die vielleicht schwieriger als zu den Anfangszeiten werden - doch letztendlich auch jene an den Tisch bringen, über die wir so viel reden, mit denen wir aber immer noch den sachlichen, tief rationalen Dialog scheuen, weil wir wissen, dass unterschiedliche Gesellschaftsmodelle aufeinandertreffen; unabhängig davon ob es nun der politische Islam, der politische Hinduismus oder der Kommunismus ist.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir den objektiven und sachlichen Diskurs benötigen.
Und ich bin auch davon überzeugt, dass die meisten Bürger dieses Landes und auch jene im Nahen Osten, die genug von Krieg und Leid haben, dem zustimmen.
Wir brauchen eben ein Schönblick 2.0 ….
Simon Jacob,
Augsburg, den 13.12.2019
Oannes Consulting Vortragsreihen
Simon Jacob steht für Lesungen, Vorträge und Seminare zur Verfügung. Für Vorträge zu Project Peacemaker und weiteren Themen wie beispielsweise Geopolitik Naher Osten oder Digitalisierung, Fakenews und Cyberwar bitte den Links folgen
Anfragen sind zu richten an:
Oannes Consulting - Medien & Kommunikationsberatung GmbH, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg
Frau Daniela Hofmann
Fon: +49 – (0) 89 – 24 88 300 50
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Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zugänglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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