Der Artikel ist Teil einer mehrteiligen Serie mit Berichten und Videos über die Situation in Nordsyrien/Nordirak, entstanden im Frühjahr 2018 - Der Auftaktartikel kann HIER nachgelesen werden.
Der größte Friedhof der Welt – Das Geheimnis der Märtyrer
Nadschaf, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz Nadschaf, im Arabischen Nedschef ausgesprochen, hat ungefähr 900.000 Einwohner und liegt südlich von Bagdad im Irak. Die Großstadt gehört zu den sieben heiligen Städten des schiitischen Islams und bildet auch eines der großen Zentren des Schiitentums im Irak. Hierbei sollte erwähnt werden, dass Ghom im Iran, als geistliches Zentrum im persischen Raum, mit Nadschaf eine Art theologische Achse bildet, die allerdings auch unterschiedliche Denkansätze an den Tag legen können, wie sich in vielen Gesprächen mit hohen Würdenträgern immer wieder herauskristallisierte. Die Hawza, die Vereinigung der einflussreichsten schiitischen Geistlichen im Irak, hat hier ihren Sitz, was von strategischer Bedeutung ist. Ein Angriff auf die Stadt würde wahrscheinlich dazu führen, dass aus der gesamten schiitischen Welt Kämpfer zur Verteidigung heranströmen würden.
Indes sind auch viele Gläubige im Terrorkrieg gegen den IS, und während der Befreiung von der Terrororganisation, im Kampf gefallen. Und nicht Wenige wurden nicht unweit von Nadschaf im größten Friedhof der Welt, welcher der Größe nach eher einer kleinen Stadt entspricht, beerdigt. „Wadi Al – Salam“, so der arabische Name dieser letzten Ruhestätte, ist die Ruhestätte von mehr als fünf Millionen Menschen. Viele davon haben den für nahöstliche Kulturen so wichtigen Märtyrertod gefunden. Die Symbolik der Erhebung des Todes zu einem glorreichen Akt ist schon immer wesentlicher Bestandteil des kriegerischen Aktes, besonders in einer Stammes- und Feudalgesellschaft gewesen und ist es immer noch.
Meine Begleiter Ali, Hassan und Sayed Ali Al Badry, die in Deutschland ihre Heimat haben, stehen schweigend vor den Gräbern der Gefallenen. In solchen Momenten erkennt man, dass die kulturelle Herkunft, der Ruf nach glorreichen Taten im heldenhaften Kampf, auch in ihnen ist. Ja sogar in mir, weil auch ich nahöstliche Wurzeln habe.
Jemand, der über Generationen hinweg in einer säkular geprägten Welt sozialisiert wurde, kann dieses Gefühl nur schwer nachvollziehen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach ist eine solche Entwicklung auch positiv zu betrachten, weil mit dem „Märtyrertod“ auch ein tiefer Aspekt der Gewalt legitimiert wird. Denn jeder Märtyrer muss auch gerächt werden.
Dieser uralte Kodex der Stämme ist mir, Hassan, Ali und Al Badry bewusst.
Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb wir immer wieder diese vererbte Auseinandersetzung in uns spüren, zwischen Bewunderung für den Mut des Kriegers und der Sorge, dass die Glorifizierung der Gewalt nur zu noch mehr Konflikten führt.
Einer der größten Friedhöfe der Welt, mit seiner erhabenen Stille, sollte Mahnung genug sein, um gerade in Europa, in der neuen Heimat, über vergangene Konflikte nachzudenken, die hoffentlich nie wieder in dieser Form auf europäischem Boden ausgetragen werden.
Simon Jacob
27. Februar 2018, Najaf/Zentralirak
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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