Der Artikel ist Teil einer mehrteiligen Serie mit Berichten und Videos über die Situation in Nordsyrien/Nordirak, entstanden im Frühjahr 2018 - Der Auftaktartikel kann HIER nachgelesen werden.
Imam Hussain Schrein in Kerbala- Die Schlacht von Kerbala
Am 10. Oktober 680 n. Chr. fand im zentralirakischen Kerbala eine Schlacht zwischen den Nachfahren des Propheten statt, welche die islamische Welt endgültig entzweite und zu zwei Machtzentren führte. Heute sehen wir diesen Konflikt auf der geopolitischen Ebene ausgetragen zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi Arabien, verteilt auf mehrere Regionen im Nahen Osten und vorderasiatischen Raum gleichzeitig.
Aus der Sichtweise der Schiia steht mythologisch betrachtet der Konflikt, bei dem der Enkel Mohameds, Hussein ibn Ali, weit unterlegen mit seinen Gefährten der Dynastie der Umayaden gegenübersteht, symbolisch für den Konflikt zwischen „Gut“ und „Böse“ bzw. „Licht“ und „Dunkelheit“. Dieser metaphorische Hintergrund, welcher für den Westen oft unverständlich ist, spielt eine elementare Bedeutung, wenn es um die Verehrung des Märtyrertums geht. Für schiitische Kämpfer spiegelt z.B. der Kampf gegen den IS exakt diesen ewigen Konflikt wieder. Dabei ist zu beachten, dass der IS, ebenfalls aus seiner Sichtweise betrachtet, den Krieg gegen die „Ungläubigen“ mystifiziert und zum Kampf mit einer Endschlacht „Gut“ gegen „Böse, territorial ausgetragen im heutigen Syrien, hochstilisiert hat.
Etwas, das dem IS in seiner ultraorthodoxen Anschauung zuwider ist, ist allerdings in Kerbala selbstverständlich. Nämlich die Errichtung eines gigantischen Schreins zu Ehren des gefallenen Enkel des Propheten, al-Husain ibn ʿAlī. Schiiten und Aleviten aus der ganzen Welt, so auch Ali und Hassan, meine Begleiter aus Deutschland, gedenken während des alljährlichen Aschura-Tages dieser Schlacht, an dem in einer Prozession kollektiv getrauert wird, teils mit blutigen Ritualen und einer Art Selbstgeißelung.
Nach dem Einchecken unserer Delegation im Hotel und am Schrein des Imam Hussain angekommen, fiel zunächst die sehr volksfestliche Atmosphäre rund um den Komplex auf. Unser Begleiter und Koordinator der Reise, Sayed Ali…. der viel Zeit in Deutschland verbracht hat, führte uns über das Gelände, um die einzelnen Abteilungen des riesigen Komplexes näher zu erläutern und arrangierte auch wichtige Gespräche für uns.
Zunächst stand ein Termin beim Verwaltungsverantwortlichen, Ali Kadhum Sultan, Leiter allgemeine Aktivitäten, Administration und Verwaltung In- und Ausland, an. Der erfahrene Manager, der früher bei den Medien aktiv war, erklärte uns ausgiebig die Strukturen die geschaffen werden mussten, um als religiöse Einrichtung dem Flüchtlingsstrom aus dem Norden Herr zu werden. Dabei spielten auch die Medien eine große Rolle, die dabei behilflich waren sowohl finanzielle Hilfen als auch administrative Kräfte zu mobilisieren. Vieles kam unserer Delegation bekannt vor, da auch Deutschland 2015 mit einer riesigen Flüchtlingswelle zu kämpfen hatte. Nur war diese hier um einiges größer und verlief unter Bürgerkriegsbedingungen. Die Verwaltung des Komplexes, welche den Flüchtlingen Unterkünfte, Nahrungsmittel und Logistik zur Verfügung gestellt hat, ist es hoch anzurechnen, dass in solch einer schwierigen Situation koordiniert gehandelt wurde.
Weiter ging es zu einem Besuch der prächtigen Sheikh Abdul Mdhid Moschee, wo wir alle herzlich empfangen wurden. Dabei machte man uns klar, besonders auch mir in meiner Funktion als Vorsitzender des Zentralrates Orientalischer Christen in Deutschland, dass man mehr als willkommen ist. In der Moschee selber befindet sich die Fakultät für Kultur und Forschung und deren Universitätsverwaltung. Hier werden den Studenten Geistes- und Naturwissenschaften näher gebracht. Mit dieser Aussage überraschte uns der Vizegeneralsekretär der Universität, Afhdal Al Shami. Den meisten Europäern dürfte unbekannt sein, dass der schiitische Islam neben der Theologie Natur- und Geisteswissenschaften, unabhängig davon aus welcher Glaubensrichtung die Erschaffer des Wissens kommen, in die Gesamtausbildung der angehenden Kleriker einbindet. Doch davon profitieren auch Studenten die keine geistliche Karriere anstreben, so der Vizegeneralsekretär.
Das letzte Gespräch an diesem sehr ereignisreichen Tag führten wir mit dem Komitee zur Verwaltung des Komplexes. Hierbei ging es um die Neuansiedlung der Flüchtlinge nach dem Krieg mit dem IS. Überraschend für mich war dabei die Tatsache, dass eine theologische Institution daran beteiligt ist. Fahdel Awaz, der zuständige Verantwortliche für Infrastrukturprojekte wie dem Bau von Siedlungen und Straßen, berichtete uns über den Fortschritt der Arbeit, denn nicht jeder Flüchtling könne wieder in seine ursprüngliche Heimatregion zurück. Zu stark wäre das Misstrauen gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. Das ist verständlich und plausibel, doch erweckte es im Besonderen bei mir, die Siedlungsgebiete der Christen und Jesiden in der Ninive-Ebene betrachtend, auch Sorgen. Bereits in der Vergangenheit hatte es Umsiedlungsprogramme unter Saddam Hussein gegeben, die zu Spannungen unter den verschiedenen Ethnien geführt haben.
Meine Hoffnung ruht darauf, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und bei den Umsiedlungsprogrammen darauf achtet, keine Gruppe über die andere dominieren zu lassen.
Simon Jacob
27. Februar 2018, Kerbala/Zentralirak
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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