MY IVLP
Abby, die Demokratin
Es ist Sonntag, unser zweiter Tag in Charlotte.
Ich habe Gelegenheit, abseits des Programms ein bisschen in die Gesellschaft einzutauchen. Bewusst mache ich das getrennt von meiner Gruppe, weil ich so weniger auffalle. Ich möchte einfach wissen, was Amerikaner am Sonntag machen. Definitiv spielt die Familie, mit der man Zeit verbringt, eine große Rolle. In die Kirche oder ins "Theater" zu gehen, um, untermalt mit faszinierenden Gesängen, dem "Priester" oder der "Priesterin" zu lauschen, gehört ebenso dazu wie das gemeinsame Zelebrieren von Sportveranstaltungen in einer "Sportbar".
Und eben in so eine Bar hat es mich, angelockt von den nostalgischen Videospielautomaten der 80er Jahre, die mich an meine Kindheit erinnern, auf meiner Erkundungstour verschlagen. Nachdem ich mich vor einigen Automaten, in nostalgischen Gedanken versunken, habe ablichten lassen, setzte ich mich an die Theke. Abby kam zu mir und schenkte mir, in den USA so üblich, eine weitere Diet - Coke ein, als mein Glas leer war. Und so kam ich mit Abby, 45 Jahre alt, ins Gespräch.
Abby war einst Lehrerin. Man merkt ihr an, dass sie ihren Beruf liebte und immer noch liebt. Doch kritisiert sie das Bildungssystem in ihrem "County". Als "County" definiert man in den Staaten das, was man bei uns als "Landkreis" bezeichnen würde. So wie ich Abby verstanden habe, kann jeder County (Landkreis) Einfluss auf das Bildungssystem nehmen. Teilweise führt das zu einer massiven Beeinflussung des Lehrprogramms durch einzelne Akteure, die keine pädagogische Ausbildung haben, was die unterschiedlichen Bildungsniveaus in den verschiedenen Bundesstaaten erklärt. Abby selber kennt sich in ihrem Element sehr gut aus. Besonders wenn es um europäische Strukturen und politische Vorgänge in den USA geht. Wir diskutieren möglichst objektiv, auch das ist in den USA möglich, über die aktuellen Debatten zwischen Demokraten und Republikanern. Dabei erwähnte ich, dass die Republikaner außerhalb der USA inzwischen als christliche Partei wahrgenommen werden, die Demokraten als Gegenpart. Die US-Amerikanerin, die der presbyterianischen (protestantisch) Kirche angehört und deren Vorfahren einst mit der zweiten "Mayflower" kamen (die Schiffe, mit denen ab 1620 n.Chr. die ersten Siedler in die heutige USA einreisten), kritisierte die starke Konfessionalisierung innerhalb der politischen Auseinandersetzungen. Eine interessante Feststellung, wenn man beobachtet, dass es, statistisch belegt, in Zukunft immer weniger Christen in den USA gibt. Überhaupt, und das ist verankert in der US-Verfassung, betrachten sich die Vereinigten Staaten nicht als "christliches" Land. Es gibt keine Staatsreligion. Jeder ist frei in seinem Glauben. Dies wird oft, besonders im Nahen Osten, missverstanden.
Abby sprach auch über den Mindestlohn in den Staaten, die Angst der Mittelschicht vor Wohlstandsverlust, dem (nach ihren Worten) ineffizienten Gesundheitssystem und der ungenügenden Altersvorsorge. Analysiert man ihre Wortwahl genauer, deckt sich ihre Kritik erstaunlicherweise mit der von Rick, einem bekennenden Republikaner, mit dem ich nur ein paar Tage zuvor in Chicago ein ähnliches Gespräch geführt hatte.
Das Gespräch mit einer Frau, die die Tochter von Rick sein könnte und Demokratin ist, war für mich äußerst wertvoll. Zeigt es doch, dass die Medienlandschaft, angeführt von den sozialen Medien, die Situation äußerst überspitzt und plakativ darstellen. Schlussendlich, hierbei stimmte mir meine Gesprächspartnerin zu, führt die äußerst aggressive Art der politischen Debatten, flankiert von den inzwischen zu Hasssendern mutierten Portalen CNN (Demokraten) und FOX (Republikaner), zu einer hochtoxischen Mischung in der Gesellschaft, die diese spaltet.
Ein Widerspruch in sich, wenn man bedenkt, dass "Rick, der Republikaner" und "Abby, die Demokratin" in ihren Ansichten gar nicht so weit auseinanderliegen.
Vielleicht sollten sich die "Ricks" und "Abbies", außerhalb der aufgeheizten medialen Stimmung öfters persönlich, am besten in einer TV Talkrunde, zusammensetzen, um die politischen Debatten zu entspannen und die Mandatsträger zur Vernunft zu bringen.
Persönlich wünsche ich allen Amerikanern mehr friedliche und sachliche Gespräche.
Das ist auch wichtig für den Rest der Welt. Denn eine freie Gesellschaft braucht rational agierende und sachlich interpretierende US-Politiker auf dem internationalen Feld der Diplomatie.
Simon Jacob,
USA/Charlotte,
16. Februar 2020
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MY IVLP...
"Abby the Democrat"
It's Sunday, our second day in Charlotte.
I have the opportunity to enjoy society a little bit off-program. I intentionally do this without my group, because I'm less noticed. I just want to know what Americans do on Sunday. Definitely the family you spend time with plays a big role. Going to church or to the "theatre" to listen to the "priest" or "priestess" surrounded by fascinating songs is as much a part of it as celebrating sports events together in a "sports bar".
And it is just such a bar that I ended up on my exploration tour, attracted by the nostalgic video game machines of the 80s, which remind me of my childhood. After I had myself photographed in front of some machines, lost in nostalgic thoughts, I sat down at the bar. Abby came across and poured me another Diet Coke when my glass was empty, as it is usual in the USA. And so I got into conversation with 45 year old Abby.
Abby was a teacher once. You can see that she loved and still loves her job. But she's critical of her county's educational system. In the States, "county" is defined as what we would call a "Landkreis" in Germany. As I understood Abby, any county (Landkreis) can influence the educational system. In part, this leads to a massive influence on the educational program by individual actors who have no pedagogical background, which explains the different levels of education in the different states. Abby herself is very familiar with her subject. In particular when dealing with European structures and political processes in the USA. We discuss as objectively as possible, and this is also possible in the USA, the current debates between Democrats and Republicans. In this context, I mentioned that Republicans outside the USA are now seen as a Christian party, with the Democrats as the counterpart. The US American, who belongs to the Presbyterian (Protestant) Church and whose ancestors once came with the second "Mayflower" (the ships with which the first settlers arrived in today's USA from 1620 AD), criticized the strong confessionalization within the political debates. An interesting observation when you notice that, statistically proven, there will be increasingly less Christians in the USA in the future. In general, and this is embedded in the US Constitution, the United States does not consider itself a "Christian" country. It has no state religion. Everybody is free in his faith. This is often misunderstood, especially in the Middle East.
Abby also talked about the minimum wage in the States, the middle class' fear of losing prosperity, the (in her words) inefficient health care system and insufficient retirement planning
Abby also talked about the minimum wage in the states, the middle class' fear of losing prosperity, the (according to her) inefficient health care system and insufficient retirement planning. If one analyzes her chosen words more closely, her criticism surprisingly overlaps with that of Rick, an avowed Republican, with whom I had a similar conversation in Chicago just a few days earlier.
Talking to a woman who could be Rick's daughter and who is a Democrat was extremely precious to me. It shows that the media landscape, led by the social media, is extremely exaggerated and bold in its portrayal of the situation. In the end, my interview partner agreed, the extremely aggressive way in which the political debates are conducted, flanked by the portals CNN (Democrats) and FOX (Republicans), which have meanwhile mutated into hate channels, leads to a highly toxic mixture in society, which divides it.
A contradiction in terms, considering that "Rick the Republican" and "Abby the Democrat" are not so far apart in their views.
Perhaps the "Ricks" and "Abbies" should get together more often in person, preferably in a TV talk show, outside of the heated media atmosphere, to calm down the political debates and bring the elected officials back to reason.
Personally, I wish all Americans more peaceful and objective discussions.
This is also important for the rest of the world. Because a free society needs US politicians who act rationally and interpret things objectively on the international field of diplomacy.
Simon Jacob,
USA/Charlotte,
16th February 2020
Oannes Consulting Vortragsreihen
Simon Jacob steht für Lesungen, Vorträge und Seminare zur Verfügung. Für Vorträge zu Project Peacemaker und weiteren Themen wie beispielsweise Geopolitik Naher Osten oder Digitalisierung, Fakenews und Cyberwar bitte den Links folgen
Anfragen sind zu richten an:
Oannes Consulting - Medien & Kommunikationsberatung GmbH, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg
Frau Daniela Hofmann
Fon: +49 – (0) 89 – 24 88 300 50
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Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zugänglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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