Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen
Autor: Simon Jacob
Ort: Lesbos, Griechenland
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft
Datum: 10.09.2020
Portal: www.oannesjournalism.com
Textdauer: 10 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Moria hätte es niemals geben dürfen!
Moria hätte es niemals geben dürfen!
Wenn man dem Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik, auf einen Nenner gebracht, einen Namen geben möchte, so reicht „Moria“ jetzt und zukünftig als Begriff aus.
Wenn man der deutschen Flüchtlingspolitik, vor und nach 2015, welches von den Rändern der Europäischen Union als eine Art „Hegemonialverhalten“ wahrgenommenen wird, einem Namen geben möchte, so reicht der Begriff „Moria“ aus.
Wenn man die Angst der Osteuropäer vor dem „Islam“, stellvertretend aus Sorge vor einer an das Rechtssystem der Scharia gekoppelten patriarchalischen Weltanschauung, egal ob diese nun berechtigt oder unberechtigt ist, in einem Wort zusammenfassen möchte, so reicht der Begriff „Moria“ aus.
Und sofern man die Naivität der Grünen sehen möchte, die einen sofortigen Alleingang Deutschlands bei der Flüchtlingsaufnahme fordern, ohne Abstimmung mit der EU und in „Corona – Zeiten“, in denen die Gesellschaft sich Sorgen um den Arbeitsplatz macht und rechte Parteien jegliche Möglichkeit suchen um Angst zu schüren und zu spalten, wie es bereits 2015 der Fall war, so kann man die grüne Rhetorik auf den Begriff „Moria“ reduzieren.
Es ist bitter, die Wahrheit auszusprechen. Noch bitterer ist es zu begreifen, dass allen Akteuren bereits seit Jahren, und nicht erst seit Ausbruch des Krieges in Syrien, die Entwicklungen bekannt waren. Klimatische Veränderungen, durch die Industrieländer maßgeblich mitverursacht, demographische Bevölkerungsexplosion, bedingt durch eine verbesserte Gesundheitsversorgung, die Ausbreitung autoritärer Systeme, zu denen der „Politische Islam“ wie auch „autokratische Führungsstile“ gehören, der Kampf um Ressourcen für den Energie- und Rohstoffhunger einer Wohlstandgesellschaft, zu der Länder wie China inzwischen ebenfalls hinzuzuzählen sind, Korruption, Vetternwirtschaft, Stammeskonflikte… sind alles Faktoren, die zu dem führen, womit die Länder an der Peripherie Europas, vorrangig Griechenland, Italien und Spanien, zu kämpfen haben.
Und Europa tut so, als wäre es eine Insel. Eine Insel, eingekeilt zwischen drei Barrieren. Die erste Barriere bildet der Atlantik, welcher den „alten Kontinent“ Europa vom „neuen Kontinent“ USA trennt, welcher kulturell mit dem europäischen Gedankengut die größte Schnittmenge aufweist. Richtung Süden hin betrachten wir, teilweise mit einem verdutzen Blick und fehlender europäischer Strategie, wie China den afrikanischen Kontinent ausbeutet, und die Verlierer der chinesischen Expansion nach Europa entlassen werden. Und blicken wir auf den nächsten Bereich, so sehen wir wahrscheinlich die größte Sorge der Bürger in der EU: es ist die reale Angst vor dem Dschihad, dem Terror des „Politischen Islams“, der die Welt in „Gläubige“ und „Ungläubige“ aufteilt. Dem Terror, welcher nach jedem Anschlag oder den populistischen Aussagen mancher Staatslenker in muslimisch geprägten Staaten, wenn sie wieder einmal schwertschwingend eine ehemalige Kirche in eine Moschee oder ein Museum mit viel Tamm Tamm in ein religiös – politisches Symbol verwandeln, weitere Bürger in die Hände rechter Populisten treibt. Der Nahe Osten mit seinen brutalen und menschenverachtenden Akteuren auf beiden Seiten, unabhängig davon ob es nun die Folterknechte Assads sind oder die Kopfabschneider des IS und dessen Nachfolgeorganisation, löst eine tiefsitzende Angst aus, die sich in einem Szenario wiederfindet, in dem EU Bürger nicht mehr zu Konzerten, Weihnachtsmärkten oder irgendwelchen anderen öffentlichen Veranstaltungen gehen können und damit massiv in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Eine Freiheit übrigens, für die viele Flüchtlinge, eingequetscht auf einem Schlauchbot und über das Mittelmeer fahrend, ihr Leben riskieren.
Das alles war und ist vorhersehbar. 2012 befand ich mich an der syrisch – türkischen Grenze auf beiden Seiten, in der Grenzregion Hatay und im Norden Syriens, inmitten gigantischer Flüchtlingslager, die auch „Gotteskrieger“ aus Algerien, Ägypten oder Tunesien beherbergten, und warnte vor der Problematik, mit der Europa in naher Zukunft zu rechnen hätte. 2013 war durch Gespräche mit syrischen Flüchtlingen in Beirut/Libanon ersichtlich, dass dieses kleine Land unter dem massiven Flüchtlingsstrom irgendwann kollabieren musste - und nicht erst durch einer Explosion, welche die Situation des Libanons wieder ins Gedächtnis der Europäer gebracht hat. 2014, 2015, 2016, 2017 – Syrien, Irak, Iran und besonders die Türkei: all diese Länder haben Flüchtlinge aufgenommen, nehmen Flüchtlinge auf und ächzen unter der Situation, welche gleichzeitig zu Ressentiments in der Bevölkerung führt. Die Türkei ist ein gutes Beispiel dafür. Nun kann man von der Staatsführung halten was man möchte: Fakt ist jedoch, dass die Türkei bei 85 Millionen Einwohnern 2 Millionen legale und schätzungsweise 2 Millionen illegale Flüchtlinge aufgenommen hat. Dass das Land das irgendwann nicht mehr alleine bewältigen konnte und lieber einige der Verzweifelten, die gerne mal als politische „Waffe“ missbraucht werden, auf der griechischen Insel Lesbos mit dem berühmt – berüchtigten Camp „Moria“ absetzte, war absehbar. 2018 besuchte ich im Rahmen einer Recherche zu den verzweigten Spuren des „Islamischen Staates“, welche zweifelsfrei nach „Moria“ führten, das Camp und konnte die gesamte Katastrophe in Bildern erfassen. Medien wie z.B. der Reutlinger Generalanzeiger, berichteten darüber. Doch geschehen sollte nichts. Es geschah deswegen nichts, weil es bequemer war vom Zentrum Europas aus über Jahrzehnte hinweg über alles hinwegzublicken und massiv betroffene Länder wie z.B. Spanien, Italien oder Griechenland trotz EU, im Glauben zu lassen, dass sie eben nur solange EU sind, solange sie als Absatzmärkte für Güter aus dem nordeuropäischen Teil herhalten können. Und das haben sie durch die Aufnahme vieler Kredite über Jahre hinweg auch getan. Doch nun, am Ende dieser Geschichte, bricht alles wie eine gigantische Sturmflut über Europa herein.
Finanzkrise 2008, Bürgerkrieg Syrien 2010, Flüchtlingskrise 2015, Brexit, ein amerikanischer Präsident, der keine Lust mehr hat für die europäische Sicherheit zu bezahlen, eine Pipeline, North – Stream 2 genannt, die, ob man die Aussagen des zuvor genannten US – Präsidenten zum Thema nun mag oder nicht, Europa tatsächlich in eine strategische Abhängigkeit bringen kann. Um dies zu begreifen muss man sich nur den Gasstreit mit der Ukraine ansehen, welcher vor Jahren stattgefunden hat und den südlichen Ländern der EU einen Energieengpass bescherte.
Doch kommen wir wieder zurück in den September des Jahres 2020, in dem die Grünen zu einem Alleingang aufrufen, ohne sich der Tiefe der europäischen Spaltung bewusst zu sein, welche immer wieder rechte Populisten ausspuckt, die genüsslich alles nutzen, und sei es auch nur immens verzerrt, um die Europäer nur noch mehr zu spalten. Wir könnten aber auch sagen, dass das Glas halbvoll ist und uns zusammensetzen, um eine europäische Lösung zu finden, wie z.B. Ankerzentren in- und eventuell auch außerhalb der EU, in denen menschenwürdige Zustände existieren und garantiert werden, ohne einzelne Länder wie Griechenland überzustrapazieren. Und ja, viele die es gut meinen und weiterhin gut meinen werden, die von der Corona – Krise nur wenig betroffen sind und in ihrer gut situierten Wohlstandswelt leben, werden das anders sehen. Nur bedeutet anders sehen nicht auch richtig zu liegen, wenn man die Fakten betrachtet. Bittere, aber nun einmal auch wahre Tatsachen.
Immigration findet statt, muss aber in geordneten Bahnen verlaufen. Dies gilt es endlich zu akzeptieren. Die USA, unabhängig der aktuellen Regierung, oder Kanada machen es vor. Und beide Ländern sind nicht eingekeilt zwischen den anfangs genannten Barrieren. Europa, mit der Achse Paris-Berlin als Zentrum, kommt mir manchmal vor wie ein Kontinent, welcher nach außen maximal human agieren und außerhalb der EU punkten möchte, dabei aber vergisst, für die innere Stabilität zu sorgen. Doch ist eine gemeinsame Migrationspolitik in Kombination mit Aufbauprogrammen vor Ort, welche die Wirtschaft ankurbeln, zwingend erforderlich, wenn man ehrlich ist. In diesem Zusammenhang dürften sich alle vernünftigen Akteure, von Ungarn bis Portugal, einig sein.
Und um noch einmal auf Moria zurückzukommen, welches ich 2018 besuchte: man kann nur von einem Schandfleck sprechen. Die größte Wirtschaftsmacht der Welt, das ist die Europäisch Union nun einmal, schafft es trotz des jahrelangen Wissens um die Problematik nicht, dem kleinen Griechenland in einem europäisch – solidarischen Akt zu helfen. Darf ich ehrlich sein? Nach meinem Besuch des Camps stellte ich mir vor, dort ebenfalls leben zu müssen… ich kann verstehen, dass Menschen Brände in der Hoffnung gelegt haben, der Hölle „Moria“ endlich entfliehen zu können.
Simon Jacob,
Augsburg, den 10. September 2020
Weitere Berichte zu diesem Thema:
Vorträge – Oannes Consulting GmbH bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal
Anfragen sind zu richten an: Oannes Consulting GmbH, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 50, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!