Als ich zwei Jahre alt war flüchteten meine Eltern mit mir und meiner Schwester nach Deutschland.
Die Ereignisse 1980 waren nicht so komplex wie heute.
Aber dennoch schwieriger, da man auf der Flucht meistens auf sich alleine gestellt war.
Doch nun frage ich mich, wie glücklich meine Eltern gewesen wären, wenn sie Hilfe erhalten hätten.
Wie froh wären sie gewesen, Gesetze hin oder her, wenn jemand da gewesen wäre, um sie zu begleiten.
Nun, viele Jahre später, erwachsen und als Journalist selber in den Regionen aktiv, aus denen Menschen flüchten, war ich auf der anderen Seite. Ich, als einer der Privilegierten, die, gewollt oder ungewollt, temporär und punktuell die Macht hatten darüber zu entscheiden, welchen Menschen man die Möglichkeit gibt, ein Leben in Sicherheit zu führen.
Aus der Ferne betrachtet mag so eine Entscheidung einfach erscheinen.
Doch wenn man den flehenden Vater, die weinende Mutter, das ängstliche Kind vor sich hat, ist es schwierig nicht die Entscheidung zu treffen, alles zu unternehmen, um helfen zu können. Und selbst den Verstoß gegen gültiges Recht würde man in Kauf nehmen, nur um Menschen zu retten.
Und dennoch … dennoch würde es das Problem nicht lösen.
In Deutschland werden nun nach dem Zwischenfall mit der Sea – Watch in Italien, flankiert von rechts und links, mal Moral, mal Courage einer Frau gefeiert, die vielleicht genau in einem Moment entschieden hat, Leben zu retten.
Was ich persönlich in der Gänze nachvollziehen kann.
Um auf der anderen Seite, im gleichen Land, die Retterin wieder zu einer Gesetzesbrecherin zu degradieren.
„Recht ist Recht“, wird mancher sagen.
Doch Dublin II ist auch Recht. Und trotzdem brach Deutschland, an der Spitze die Kanzlerin, 2015 gültiges Recht und ließ Flüchtlinge ins Land.
Doch ist weder die heldenhafte Tat der jungen Kapitänin das Problem.
Noch ihr Bruch des Gesetzes.
Es ist das Gesetz als solches in der EU und damit eine widerwärtig heuchlerisch geführte Debatte von Rechts bis Links, welche als ruchlos und ohne Moral betrachtet werden kann.
Denn die Krise, bereits vor vielen Jahren vorhersehbar, beflügelte Zentraleuropa nicht dazu, gemeinsam mit den südlichen EU - Ländern ein neues Einwanderungsgesetz zu definieren, Schlepperbanden das Handwerk zu legen, an einem Generationenplan (Marshall – Plan) zu arbeiten, um Menschen in Afrika wie auch im Nahen Osten dabei behilflich zu sein, erst gar nicht auf die Idee zu kommen, sich auf den Weg nach Europa zu machen.
Lieber hat Zentraleuropa, Deutschland an vorderster Spitze, mit Links und Rechts an der Regierung, zugesehen, wie durch ein absurdes Gesetz, namentlich Dublin II, Spanien, Italien und Griechenland an der Peripherie Europas an den Flüchtlingsströmen zu ersticken drohten.
Als Pufferzonen waren die südlichen Länder gut genug. Doch als die Flüchtlinge an die Türen Zentraleuropas klopften, konnte man, schulmeisterhaft und von oben herab, gar nicht genug Druck auf diese Länder ausüben um daran zu erinnern, dass Dublin II in der EU Gültigkeit hat.
Ein Gesetz, welches Deutschland 2015 eigenhändig außer Kraft setzte.
Nicht die heldenhafte Tat einer Humanaktivistin oder ihr Rechtsbruch sollten an der Spitze der Debatte stehen, beides ist das Resultat einer gescheiterten EU – Flüchtlingspolitik, sondern die Politik als solche mit ihrem Chauvinismus, den sie gerade an den Tag legt - egal ob Sozialisten, Liberale oder Konservative.
Keine der bekannten Volksparteien hat sich mit Ruhm bekleckert, als vor Jahren die südliche Peripherie allein gelassen wurde und die politischen Machtverhältnisse geschaffen wurden, mit denen Europa nun zu kämpfen hat.
Doch ob wir nun wollen oder nicht.
Europa ist dazu verdammt, die demographische Entwicklung Afrikas und des Nahen Ostens im Blick, an einem Strang zu ziehen.
Simon Jacob,
Augsburg, Juli 2019
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zugänglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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