Rita – 3 Jahre lang von IS zum Sex gezwungen
Eine meiner schwierigsten Aufgaben, die mir immer wieder Albträume beschert und die ich am liebsten in den tiefsten Winkeln meines Gedächtnisses begraben würde, sind die Gespräche mit den Überlebenden unvorstellbarer Gräuel. Es klingt makaber, aber durch eine Straße voller verkohlter Leichen zu laufen macht mir weniger aus. Denn Tote sind tot und Tote können nicht mehr reden, schreien, leiden, weinen. Es ist einfacher an der Front unter Beschuss zu sein, weil es hier eine klare Feind – Freund – Kennung gibt und man sich darauf konzentrieren muss, selber keinen Schaden zu nehmen. Das was mich, um Längen, am meisten bedrückt, sind sie: Die Überlebenden des Grauens. Denn sie reden. Und wenn sie das tun, manifestiert sich die Trauer ihres Leids in ihren Worten und Tränen. Und es kommt in mir eine Wut hoch, die ich nur schwer zügeln kann, weil die ganze Welt zugesehen hat und teilweise immer noch zusieht. Und ich fühle mich einfach ohnmächtig. Also tue ich das Beste, was ich tun kann: ich nutze meine gottgegebenen Fähigkeiten und schreibe darüber.
Und so möchte ich auch über Rita berichten.
Von Rita höre ich rein zufällig, als ich in Nordsyrien nahe der IS – Frontlinie Recherchen an den Tag lege. Als man mir mitteilte, dass man Wochen zuvor eine junge Christin aus den Händen des IS befreit hatte, die drei Jahre zuvor im Irak in Gefangenschaft geraten und auf einem Sklavenmarkt verkauft worden war, zögerte ich keinen Moment, um die unscheinbar wirkende Frau zu treffen. Bei meiner Ankunft schien Rita nicht so recht zu wissen, wie sie mit mir umgehen sollte. Ich bemerkte eine gewisse Skepsis in ihrem besorgten Gesicht. Es sah so aus, als zwinge sie sich selber, mit mir dieses Interview zu führen. Sie tat es trotzdem. Und ich war mehr als heilfroh darüber. Den Grund für ihr Verhalten erfuhr ich später.
2014 überrannte der IS die christliche Stadt Karakosh nördlich von Mosul gelegen. Rita floh aus ihrer Heimat. Im Konvoi, der sich Richtung kurdisches Gebiet einen Weg mit einer unendlichen Menschenschlange bahnte, suchte die junge Alleinstehende verzweifelt ihren blinden Vater. Sie fand heraus, dass sich dieser in der nun vom IS besetzten Heimat befand und wollte ihn retten. Beim Versuch ihren Vater in Sicherheit zu bringen, geriet sie in Gefangenschaft. Es begann ein Martyrium. Als junge, attraktive Frau war sie ein Objekt der Begierde und sollte die sexuellen Gelüste verschiedener Herrn befriedigen. Es waren vier an der Zahl. Einer davon aus Saudi Arabien. Was Rita nun drei Jahre über sich ergehen lassen musste, ist schier unbeschreiblich. Oft reichen nur Andeutungen aus, um Bilder, die ich aus anderen Beschreibungen und dschihadistischen Videos des IS kannte, in meinen Gedanken wieder hochkommen zu lassen. Der Zwang, vor dem sexuellen Akt, das Opfer dazu zu bringen Koranverse zu lesen bzw. sich auf Video anzuhören, klingt makaber und zeugt zugleich von der widerwärtigen Perversion dieser Männer, die die Religion missbrauchen, um ihren Trieb zu legitimieren und dem Ganzen den Anstrich von etwas Anständigem zu geben. Die IS – Perversen und IS – Sadisten, die ein massives Bedürfnis nach sexueller Befriedigung haben, glauben allen Ernstes, oder möchten das wenigstens glauben, dass beim Rezitieren von Koransuren eine Vergewaltigung „halal“, also legitim und etwas Schönes für beide ist, weil das Opfer dadurch dem Paradies näher kommt.
Rita, die ehemalige Sexsklavin, deutet diese Rituale nur an. Doch kenne ich den Rest bereits zur Genüge, um mir in meiner Fantasie und bei den wieder hochkommenden Erinnerungen ausmalen zu können, welche Qualen diese mutige Frau durchleben musste. Nach ca. einer halben Stunde stoppe ich das Interview. Ich muss Rita Zeit geben, sich zu erholen. Aber auch ich muss Zeit finden das Gehörte zu verarbeiten, ohne die Fäuste zusammenzuballen und nach der nächsten Waffe zu sehen, um in meinem Kopf wieder die Vorstellung zu bekämpfen, diese widerwärtigen Kreaturen dafür bezahlen zu lassen.
Nein, meine Aufgabe ist eine andere. Und dieser möchte ich folgen. Menschen wie Rita eine Stimme zu geben, gehört zu diesen Aufgaben. Die junge Frau hat sich entschlossen, nicht aufzugeben. Sie möchte kämpfen. Gegen das Unrecht, welches ihr widerfahren ist. Und gegen das, was tagtäglich Mädchen und Frauen in Kriegen, in denen der sexuelle Trieb Teil der Kriegsstrategie ist, widerfährt und das Leben von tausenden und abertausenden Frauen vernichtet. Am liebsten hätte ich diese mutige Frau als Botschafterin und Mahnerin mit nach Deutschland genommen. Leider geht das aktuell nicht. Vielleicht ergibt sich die Möglichkeit, sie in ein Programm für traumatisierte Frauen einzubringen, um nicht nur ihr, sondern bedingt durch ihr Handeln, auch anderen zu helfen.
Am Ende des Interviews blickt sie mich lange aus ihren traurigen und sanften Augen an. Sie lächelt ein bisschen und sagt:
„Verzeih, mit Deinem Bart und Deinen langen Haaren sahst Du wie einer von denen aus. Aber ich weiß natürlich, dass das nicht der Fall ist. Bitte verzeih…“
Einerseits traf mich diese Aussage hart. Auf der anderen Seite rief mir das die Tatsache ins Bewusstsein, dass der Sexualtrieb in jedem männlichen Wesen dieser Welt steckt. Kulturelle Sozialisierung, moralische Grundsätze und der Respekt vor dem anderen Geschlecht geben uns die Norm vor, uns nicht wie „Bestien“ zu verhalten, die über wehrlose Frauen herfallen.
Es klingt makaber, aber manchmal, um den Geschmack der Widerwärtigkeit dieser Taten aus meinen Gedanken zu bekommen, stelle ich mir vor, wie Flieger anstatt Bomben einfach massenweise Sexpuppen über die Islamisten abwerfen. Damit hätten sie dann garantiert auf ewig immer wieder erneuerbare Jungfrauen und sie würden vielleicht zeitweise eine andere Beschäftigung haben.
Simon Jacob,
März 2018, Nordsyrien
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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