Nordirak – Bundeswehr im Einsatz
Kaum im Irak angekommen wurde ich bereits noch am ersten Abend bei einem politischen Empfang in Najaf, weshalb auch immer, stellvertretend an Deutschland adressiert, dafür kritisiert, dass man den Kurden im Norden Waffen geliefert hätte und der legitimen Regierung in Bagdad nicht. Und wie man überhaupt dazu käme, ohne die Zustimmung des Parlaments in Bagdad, Waffen an die Kurden zu liefern. Wahrscheinlich war meinen Ansprechpartnern bekannt, dass ich am 01. September 2014, dem Tag der Abstimmung, bei einer Sondersitzung im Bundestag auf der Gasttribüne saß. Doch ist vielen entgangen, dass die Kritik nicht nachvollziehbar ist und dass jede einzelne Waffe, welche an die kurdischen Einheiten in den Norden geliefert worden war, mit der Zentralregierung und dem damaligen Premier Maliki abgesprochen und genehmigt war. Einige ranghohe Militärs der irakischen Streitkräfte und ein Parlamentarier, welcher seit Jahren an den Entscheidungen beteiligt gewesen sein sollte, zeigten sich von meiner Aussage überrascht. Wie dem auch sei. Das sind nun einmal die Fakten und Tatsachen, die Realität sind. Dass Deutschland an die Kurden im Norden das Boden – Boden Panzerabwehrsystem Milan 2 lieferte und Personal vor Ort im Umgang damit schulte, war entscheidend im Kampf gegen den IS, der bei der Offensive in Mosul jede Menge gut gepanzerter Fahrzeuge amerikanischer Bauart aus irakischen Armeebeständen erbeutet hatte. Dieses Argument wollte man kaum vernehmen. Indes wurde weitere Kritik zum Ausdruck gebracht, indem man den kurdischen Peschmergas vorwarf, deutsche Waffen massenweise auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Als wir um konkrete Beweise baten, wurde man nur oberflächlich deutlich. Wir sollten uns doch auf den entsprechenden Absatzmärkten umsehen. Dass es auf dem Schwarzmarkt Kopien des G3 gibt, dem Vorgängermodell des G36 der Bundeswehr, an dem ich selber noch ausgebildet wurde, ist gemeinhin bekannt. Doch von Einzelfällen abgesehen, die ich bis auf einen Fall persönlich überprüfen konnte, sind keine Beweise für den massenhaften Verkauf deutscher Waffen aufgetaucht. Ein weiterer Vorwurf, der nun eher einen humorvollen Gehalt an den Tag legte, war die Behauptung, die Kurden würden mit dem Boden – Boden Panzerabwehrsystem F16 – Jagdflugzeuge der irakischen Luftwaffe vom Himmel holen. Mein Versuch der technischen Erklärung unter Anwendung ballistischer Eigenschaften des Milan – Systems, welches nicht darauf ausgelegt ist Flugzeuge abzuschießen, scheiterte.
Nun, ich war amüsiert überrascht, als ich beim Besuch des Bundeswehrkontingentes an meinem letzten Tag in Erbil, in Anwesenheit eines militärischen Geistlichen und zweier Zivillistinnen, eine davon eine ehemalige Bundestagsabgeordnete, die eigentlich an die deutschen Streitkräfte gerichtete Kritik mit einem Schmunzeln im Gesicht weitergab. Gleiches wurde mit Gleichem quittiert und auch ich durfte einigen skurrilen Erzählungen lauschen, die mehr oder weniger Verschwörungstheorien gleichkamen. Also nichts, was die Soldaten vor Ort nicht bereits kannten. Das ernstere Gespräch folgte dann bei einer wunderbaren Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen, den ich gerne zu mir nahm und der ein Stück weit an die Heimat erinnerte. Seitdem der IS aus Mosul verdrängt worden war, hatten sich neue Frontlinien gebildet. Und zwar genau in dem Gebiet, in dem die Bundeswehr auch mit Patrouillenfahrten aktiv ist. Besonders die Ninive Ebene, in der der IS tobte und das traditionelles Siedlungsgebiet der Christen und Jesiden ist, könnte es aufgrund der veränderten Kräfteverhältnisse zu neuen Streitigkeiten kommen. Neben Jesiden, syrisch – orthodoxen, assyrischen und chaldäischen Christen, wurden in der fruchtbaren Ebene auch arabische sowie turkmenische Stämme angesiedelt. Außerdem lebt in der Region seit Jahrhunderten die Gemeinschaft der Schabak. Die Schabak sind eine Glaubensgemeinschaft die dem schiitischen Glauben, in der Dogmatik den Aleviten nicht unähnlich, zuzuordnen ist. Seit 1952 sind sie im Irak als eigenständige Ethnie anerkannt. Um das Jahr 2000 ging man, ausgehend von einer Volkzählung, von ca. 200.000 Mitgliedern aus. Nördlich von Mosul angesiedelt liefen sie ständig Gefahr, von sunnitischen Extremisten bedroht oder gar ermordet zu werden. Noch vor dem Einmarsch des IS in Mosul konnten sie nur unter Gefahr für Leib und Leben die zweitgrößte Stadt des Iraks betreten. Doch das Blatt hat sich gewendet. Als Teil der hauptsächlich schiitischen Freiwilligenarmee – Hashd al – Shaabi – die eine markante Nähe, jedenfalls in Teilen, zum Iran aufweist, stehen nun die Schabak unter Waffen und haben die Grenzlinien in der Ninive – Ebene zu Ungunsten der christlichen Bevölkerung verschoben, was bereits zu Spannungen mit der Autonomieregion Kurdistan geführt hat. Das alles kann sich, wenn es jemand darauf ankommen lässt, für den jetzigen Bundeswehreinsatz als heikel erweisen. Die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, die eigentlich als Ausbilder und Aufbauhelfer vor Ort sind, könnten plötzlich zwischen die Fronten geraten. Noch problematischer wäre es, wenn man zum Beispiel in Erfüllung des Auftrages die Grenzen der kurdischen Autonomieregion respektiert, die Freiwilligenarmee der Schaback, die inzwischen in die reguläre irakische Armee eingegliedert ist, dies wegen Stammesstreitigkeiten aber als Anlass nehmen würde, um der Bundeswehr Aktivitäten gegen die Zentralregierung vorzuwerfen. Der eine oder andere Politiker würde das dann gerne dazu hernehmen, um die, aus seinem Blickwinkel, nicht neutrale Unterstützung der Kurden, zu kritisieren. Mit dem Kalkül, wenn es dann zum Beispiel um die Unterstützung der Stämme bei den nächsten Wahlen geht, diese mit den richtigen Argumenten, den Wahrheitsgehalt missachtend, für sich zu gewinnen. Eine fatale Entwicklung, die immensen Schaden anrichten und deutsche Soldaten in eine missliche Lage bringen könnte.
Die Bundeswehr macht eine exzellente Arbeit. Sie wird vor Ort geschätzt und respektiert. Den deutschen Soldaten traut man eine immense Neutralität zu, die auch gerechtfertigt ist. Aus den Worten meiner Gesprächspartner trat die Sorge hervor, dass man in Berlin die Feinheiten der Konflikte in der Region, in der man aktiv ist, mit ihren kulturellen Spezifikationen nicht versteht oder gar missachtet. Was zur Folge hat, dass Hinweise auf eventuelle Gefahren scheinbar missachtet werden. Oder um es in den Worten der ehemaligen Bundestagsabgeordneten zu sagen, als ich darauf hinwies, dass ich seit Jahren Parlamentariern Berichte zukommen lasse, die definitiv gelesen werden:
„Herr Jacob, Sie glauben doch nicht wirklich, dass man diese Informationen mit allen teilt…“
Nun, von dieser Aussage ausgehend habe ich mich wohl in zwei Punkten geirrt.
- Dass Informationen von Bedeutung unter deutschen Abgeordneten geteilt werden
- Dass diese Eigenart scheinbar nur auf das irakische Parlament zutrifft
Simon Jacob
8. März 2018, Irak/Erbil
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zugänglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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