Der Artikel ist Teil einer mehrteiligen Serie mit Berichten und Videos über die Situation in Nordsyrien/Nordirak, entstanden im Frühjahr 2018 - Der Auftaktartikel kann HIER nachgelesen werden.
Großajatollah Sistani – Eine Fatwa gegen den IS
Unter der Leitung des Großayatollahs Ali as – Sistani, der zugleich die höchste schiitische Instanz im Irak und Leiter der Hawza ist, der wichtigsten schiitisch - theologischen Hochschule in Najaf, erfolgte nach dem Eroberungsfeldzug der Terrorgruppe IS ein Ereignis, welches weltweite Entwicklungen in Gang setzte, die bis heute einen Nachhall haben und auch zukünftig haben werden. Einen Nachhall, welcher im westlichen Kontext fast in der Gänze nicht verstanden wurde.
Im Gespräch mit der Vertretung Sistanis, seine Exzellenz Sayed Ahmed Al Safi hatte uns am späten Nachmittag empfangen, unterhielten wir uns über das rechtliche Gutachten (in der islamischen Theologie „Fatwa“ genannt), welches erst dem IS Barrieren aufbot und aus augenscheinlich feindlich gesinnten Akteuren kurzfristig Verbündete machte. Was heute für viele unmöglich klingt, aber dennoch Realität ist, ist die Tatsache, dass schiitische Kampfeinheiten aus dem Iran, Irak, Afghanistan und weiteren schiitischen Ländern, aber auch vereinzelt christliche Gruppierungen wie z.B. die Assyrer in der Ninive – Ebene, sich unter dem Banner der Gruppierung „Haschd al – schaabi“ zusammenschlossen. In Kooperation mit sunnitischen Stämmen, der irakischen Armee, kurdischen sowie jesidischen Einheiten, begann man den IS zurückzudrängen. Luftunterstützung erhielten die Einheiten vor allem durch NATO Staaten, angeführt von den USA. Wenn man nun den Gedanken zu Ende bringen möchte und sich die Gegebenheiten betrachtet, muss man feststellen, dass der Iran und die USA temporär gemeinsam, zumindest indirekt, in einem Krieg gegen den Terror vereint agiert haben. Und als ob das für manch einen Zuhörer nicht schon paradox genug klingt, so muss man sich doch vor Augen halten, dass es ein muslimisches Rechtsgutachten war, ausgesprochen durch Großayatollah Sistani, der höchsten Instanz des schiitischen Iraks, welches erst die gewaltige Kraft aufbrachte, Abertausende kampffähige Männer aus aller Herrenländer dazu zu bewegen, gegen den IS in den Krieg zu ziehen. Ohne dieses theologische Rechtsgutachten im Namen der Religion, was auch zu unzähligen Todesopfern auf allen Seiten geführt hat, würde man vielleicht noch heute großflächig gegen den IS kämpfen.
Es ist doch eine Ironie des Schicksals, dass der IS, der 2003 erst durch die völkerrechtswidrige Besatzung der USA und die daraus resultierenden Fehleinschätzungen entstehen konnte, Jahre später sogar zwei Erzfeinde gezwungenermaßen dazu brachte, unterstützt durch ein religiöses Gutachten, gemeinsam gegen einen Feind zu Felde zu ziehen.
Al Safi, unser stellvertretender Gastgeber, wies mit einer gewissen Ernsthaftigkeit daraufhin. Auch wenn es nur für einen Augenblick war, so hat die schwierige Situation dennoch dazu geführt, dass sich Feinde annäherten. Dass man im nahöstlichen Kontext das Aussprechen der „Fatwa“ und der damit folgende Aufruf zum Kampf gegen den IS als Schlüsselereignis betrachtet, daran ließ der hohe Geistlich keinen Zweifel. In diesem Sinne sollte der Westen wenigstens die Tatsache respektieren, dass die Kraft der Religion auch diesem geholfen hat, indem sie auf irakischem Boden Terroristen bekämpft hat, die ansonsten im Besonderen Europa bedroht hätten.
Eine Tatsache, die durchaus zum Nachdenken anregen sollte, wenn man als westlicher Politiker das nächste Mal wieder den Irak besuchen sollte.
Mein persönlicher Dank gilt dem besonnenen Verhalten der theologischen Führung des Landes, deren Familien sowie unserem Begleiter und Koordinator, Sayed Ali el - Badry, welcher diesen Besuch in einer Hochsicherheitszone erst ermöglicht hat.
Simon Jacob
27. Februar 2018, Najaf/Zentralirak
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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