Eine Erklärung mit Sprengstoff - Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben der Welt
Anfang Februar 2019 reiste Papst Franziskus als erstes Oberhaupt der Katholischen Kirche auf die arabische Halbinsel zu einem interreligiösen Treffen mit hunderten Teilnehmern verschiedener Konfessionen, darunter auch Ahmad Mohammad Al-Tayyeb. Al-Tayyeb ist Scheich der Azahr und damit das Oberhaupt der Azahr Universität, der Al-Azahr Moschee und der Akademie für islamische Untersuchungen. Damit ist der Groß-Imam eine der höchsten islamischen Autoritäten des sunnitischen Islam, für manche auch die höchste. Seinen Sitz hat er im ägyptischen Kairo.
War das Treffen zwischen Papst Franziskus und Al-Tayyeb in Abu Dhabi an sich nicht die Überraschung, so war es jedoch die gemeinsame Erklärung um so mehr.
Aus westlicher Sicht betrachtet erscheint der Inhalt nicht unbedingt spektakulär, finden sich doch dort im Großen und Ganzen die demokratischen Grundrechte Europas und die universellen Menschenrechte der UN-Charta von 1948 wieder. Diese stehen jedoch in weiten Teilen der aktuellen Auslegung des Korans nach den sunnitischen Rechtsschulen konträr gegenüber.
Zwei Abschnitte der Erklärung, deren offizielle deutsche Übersetzung HIER auf der Homepage des Vatikans nachgelesen werden kann, stechen mir als Frau, die sich nun doch schon längere Zeit tagtäglich mit dem Nahen Osten, den dort lebenden Menschen, den herrschenden Clanstrukturen, dem Patriarchat sowie dem Glauben und den Menschenrechten auseinandersetzt, besonders ins Auge.
„Die Freiheit ist ein Recht jedes Menschen: ein jeder genießt Bekenntnis-, Gedanken-, Meinungs- und Handlungsfreiheit. Der Pluralismus und die Verschiedenheit in Bezug auf Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Ethnie und Sprache entsprechen einem weisen göttlichen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat. Diese göttliche Weisheit ist der Ursprung, aus dem sich das Recht auf Bekenntnisfreiheit und auf die Freiheit, anders zu sein, ableitet. Deshalb wird der Umstand verurteilt, Menschen zu zwingen, eine bestimmte Religion oder eine gewisse Kultur anzunehmen wie auch einen kulturellen Lebensstil aufzuerlegen, den die anderen nicht akzeptieren.“
„Es ist eine unabdingbare Notwendigkeit, das Recht der Frau auf Bildung, auf Arbeit und auf Ausübung der eigenen politischen Rechte anzuerkennen. Ferner muss darauf hingearbeitet werden, die Frau von allen historischen und sozialen Zwängen zu befreien, die gegen die Grundsätze des eigenen Glaubens und der eigenen Würde stehen. Es ist ebenso notwendig, sie vor der sexuellen Ausbeutung zu beschützen wie auch davor, als Ware oder Mittel zum Vergnügen oder zum finanziellen Gewinn zu behandelt zu werden. Daher muss man alle unmenschlichen Praktiken und volkstümlichen Bräuche, welche die Würde der Frau erniedrigen, einstellen und dafür arbeiten, dass die Gesetze geändert werden, welche die Frauen daran hindern, ihre Rechte voll zu genießen.“
Zum einen werden der Frau Gleichberechtigung und individuelle Freiheit zugesprochen, zum anderen wird der Absolutheitsanspruch des Islam infrage gestellt.
Viele Skeptiker führen nun an, dass es ja kein rechtsverbindliches Papier sei und damit auch nicht umgesetzt werden müsse – und sich damit letztendlich auch nichts ändert.
Verlassen wir jedoch nun einmal die Perspektive des westlichen Betrachters und versetzen uns in die Lage der Muslime, so ist das durchaus eine revolutionäre Erklärung mit immenser Sprengkraft. Besonders, wenn man sich die Worte Al-Tayyeb an Volker Kauder, MdB, bei seinem Deutschlandbesuch erinnert: „Hören Sie bitte auf, mit mir darüber zu reden, dass der Islam durch die Aufklärung muss. Wir wollen nicht durch die Aufklärung, denn bei der Aufklärung ist das Ergebnis gewesen, dass der Staat über der Religion steht und bei uns muss die Religion über dem Staat stehen.“ Mit der gemeinsam unterzeichneten Erklärung, geschieht aber nun genau dies, was nicht nur eine Verunsicherung der Muslime und den Vorbetern in den Moscheen nach sich ziehen kann, sondern auch eine Spaltung der Gesellschaft, die unter Umständen blutig endet.
Hierfür ist es wichtig zu wissen, dass es nicht unbedingt einer keiner klassischen Ausbildung bedarf, um Imam zu werden. Während die Imame für die „herrscherlichen“ Moscheen vom Herrscher ernannt werden und fünf Voraussetzungen erfüllen müssen - Rezitierfähigkeit, tadellose Aussprache, männlich und unbescholten sein sowie eine Ausbildung in der islamischen Rechtswissenschaft besitzen – können die Moscheen, die von den „gewöhnlichen“ Leuten errichtet wurden, ihre Imame selber wählen.
Wenn man davon ausgeht, dass der Teil der Gesellschaft, der eine ultra-orthodoxe Auslegung des Islam fordert, das unterzeichnete Papier nicht anerkennen, sich aber der Teil der Gesellschaft, der einen liberalen Islam und eine friedliche Koexistenz in einer pluralistischen Gesellschaft möchte, genau darauf berufen wird und jede dieser Gruppen ihre Imame entsprechend auswählt, so ist der Konflikt vorprogrammiert und Parallelen zum Dreißigjährigen Krieg in Europa nicht von der Hand zu weisen.
Europa und Deutschland werden gut daran tun, die Entwicklungen genau zu beobachten, denn sie wird auch die hier lebenden Muslime beeinflussen und gegebenenfalls den Konflikt hierher tragen. Dies könnte dann auch die hiesige Gesellschaft destabilisieren. Es wird an der Politik und jeden einzelnen friedliebenden Menschen liegen, diejenigen zu unterstützen, die die allgemein gültigen Menschenrechte als Grundlage für ein gemeinsames Zusammenleben erachten.
Daniela Hofmann
Foto: Eissa Al Hammadi (Ministry of Presidential Affairs)
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zugänglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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