Der Artikel ist Teil einer mehrteiligen Serie mit Berichten und Videos über die Situation in Nordsyrien/Nordirak, entstanden im Frühjahr 2018 - Der Auftaktartikel kann HIER nachgelesen werden.
Bagdad – Akademie der Philosophie
Sayed Ahmed El - Badry ist ein weiser Mensch. Bei unserer Begegnung spürte man förmlich, dass der hohe Geistliche und Gründer der Akademie der Philosophie das Geheimnis der inneren Ruhe zur Vollkommenheit gebracht hat. Den Bruder unseres Koordinators, Sayed Ali El - Badry, der uns bei allen Belangen hilft, umgibt eine besondere Aura.
El - Badry empfängt uns zur Audienz in seiner Bibliothek und beginnt zu erzählen. Dabei holt er weit aus, um uns die Komplexität eines Konfliktes zu erklären, welcher letztendlich zur Intention geführt hat, eine Umgebung, eine Akademie zu schaffen, die basierend auf den Künsten der Philosophie und Geisteswissenschaften abseits der Auseinandersetzungen mit Waffen zwischen den Facetten religiöser Dogmen eine Lösung findet, die nicht zum Konflikt führt und Kompromisse schließt. Kompromisse mit allen Beteiligten, egal welches Geschlecht es nun betrifft, welcher Religion man angehört oder welchen ethnischen Hintergrund man sein eigen nennen mag.
Ihm, diesem unscheinbaren und doch so würdevollen Kleriker, mag man das glauben. Dies ist gerade seinem Alter und seiner Authentizität geschuldet. Vor dem Sturz der Saddam Diktatur wurden Schiiten, die Mehrheit des Landes, unterdrückt. Viele Geistliche mussten in den Untergrund. Einige wagten es Rechte einzufordern und versuchten auf ihre Weise, dem Unrecht ein Gesicht zu geben. Gerade der Klerus bezog sich immer wieder auf die friedlichen Tugenden der Religion. Dies blieb nicht ohne Folgen: Sayed Ahmed El - Badry wurde verhaftet, und aller Wahrscheinlichkeit nach auch gefoltert.
Das ist nun einige Jahre her und der Mann mit dem langen, imposanten Bart und den vielen Büchern in seiner Privatbibliothek, die eine gigantische Sammlung philosophischer Werke aus aller Herren Länder darstellt, sagt mit einem Lächeln auf dem Gesicht, als ob er jegliches Gefühl von Rache, Wut und Hass hinter sich gelassen hat:
„Hass führt nur zu Gewalt, …“, „Rache erzeugt nur noch mehr Rache, ….“, „ … diesen Kreis müssen wir durchbrechen …“, so die Kernaussagen. „Die Situation ist eben die, dass wir alle Fehler gemacht haben. Sunniten und Schiiten. Politische Führer als auch der einfache Bürger. Es wird nicht einfach werden, alle Schichten der Gesellschaft in den Dialog einzubinden.“ Doch irgendwo müsste man damit anfangen, so der Philosoph. Schlussfolgernd sollten Einrichtungen geschaffen werden, welche diesen Diskurs mit Strukturen versieht, die der offenen, kritischen aber auch respektvollen Debatte Raum und Platz geben. Die Akademie der Philosophie in Bagdad möchte genau das sein und die Hoffnung keimt auf, dass man aus den jüngsten Entwicklungen Rückschlüsse zieht - gerade wegen des immensen Schadens durch den Konflikt mit dem IS, der vorhersehbar war. Manchmal habe ich bei all den Gesprächen das Gefühl, dass man im Irak viel weiter ist als in Europa. Denn die Notwendigkeit aufeinander zuzugehen, nicht zuletzt bedingt durch die vielen Toten, ist offensichtlich.
Als wir die Bibliothek verlassen, verabschieden sich noch alle herzlichst. Ich komme nicht darum herum, mich im Besonderen vom hohen Geistlichen mit einer herzlichen Umarmung zu verabschieden. Dabei erwähne ich in einem Nebensatz, dass mir der grüne Wickelschaal des hohe Geistlichen gefällt. Dieser zeigt mir ein herzliches Lächeln, zögert nicht lange und übergibt mir diesen als Geschenk, das ich respektvoll annehme.
Erst später, zurück in Deutschland, wird mir berichtet, dass die Träger eines solchen Textils in direkter Nachkommenschaft zum Propheten stehen.
Mit dieser Geste erhielt ich nicht nur ein materielles Geschenk. Es war eine Ehrerweisung mir gegenüber von unschätzbarem Wert. Ich freue mich bereits jetzt auf meine nächste Begegnung mit seiner Eminenz Sayed Ahmed El - Badry in Bagdad.
Simon Jacob
28. Februar 2018, Bagdad /Zentralirak
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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