Die Feder ist stärker als das Schwert
Oder: Bibliotheken sind Demokratien par excellence
Der Blick geht unwillkürlich nach oben. Betritt man die Räume der Landesbibliothek Vorarlberg in Bregenz weitet sich der Horizont in mehr als einer Hinsicht. Der ganze Gebäudekomplex zwischen Bodensee und Gebhardsberg wirkt wie ein Tempel des Wissens. Nicht umsonst wurde dieser Ort vor über tausend Jahren von Benediktinermönchen gegründet und in seiner wechselvollen Geschichte auch immer wieder geistlich genutzt. Als das Kirchengebäude schließlich in den 1980er Jahren an das österreichische Bundesland Vorarlberg ging und in eine weltliche Bibliothek umgewandelt werden sollte, wurde diese Nutzung durchaus kritisch diskutiert, wie Mag. Thomas Feurstein im Gespräch mit Simon Jacob zu berichten wusste. In Anlehnung an eine Predigt des Stiftsbibliothekars aus St. Gallen, der sagte, dass der liebende und allmächtige Gott keinen definierten Ort braucht und an die Worte „der Geist weht, wo er will“ aus dem Johannesevangelium wurde die Umwidmung als berechtigt durchgeführt.
Nicht nur optisch gesehen wird das geistliche Erbe am Bregenzer Gebhardsberg also hochgehalten. Dennoch ist es bewusst keine Tendenzbibliothek. „Hier stehen aufklärerische und vor- bzw. antiaufklärerische Schriften gleichberechtigt nebeneinander“, sagt Thomas Feurstein. „Wir haben hier Diderot, d’Alembert, die Vorläufer der französischen Revolution, genauso wie andere Schriften verfügbar. Bibliotheken sollen ja gerade keine Vorgaben machen oder Wertungen abzugeben, sondern eine Basis für eine gebildete Bevölkerung darstellen, wo sich Menschen möglichst unbeeinflusst und unmanipuliert ihr Gedankengebäude selbst bilden können.“ Damit können Bibliotheken geradezu als Demokratien par excellence bezeichnet werden. Wissen wird möglichst umfangreich von der öffentlichen Hand bereitgestellt und alle Menschen können praktisch kostenlos darauf zugreifen und sich umfassend bilden.
Dass die Schriften in Bibliotheken durch die Bibliotheksmitarbeiter im Allgemeinen sehr sorgfältig ausgewählt werden, sieht Magister Feurstein nicht negativ. Er stellt diese Prüfung den Millionen Treffern einer Onlinesuche gegenüber, bei der man die Qualität der obersten Treffer nicht sicher beurteilen könnte, da man sich im Internet immer die folgende Frage stellen müsse: „Ist das bezahlt, ist das von irgendeiner Macht bestimmt, was dort ganz vorne stehen soll oder nicht?“ Eine gewisse Skepsis gegenüber der digitalen Welt und ihren Medien ist gewiss nicht unangebracht. Doch auch die Prüfer der geprüften Informationen in Bibliotheken müssen ihre Prüfung immer wieder kritisch hinterfragen lassen. Denn natürlich hat Thomas Feurstein recht, wenn er anmerkt: „Die Menschen tendieren dazu, sich in Echokammern einzuschließen und nur das zu konsumieren, was ihnen gefällt. Die digitalen Medien verstärken das, sie liefern nur das, was den Menschen gefällt.“ Jedes digitale Suchergebnis ist lediglich eine Antwort auf eine ganz spezifische Frage des jeweiligen Nutzers. Bibliotheken können ein Alternativmodell sein, besonders wenn in ihren Regalen nicht nur eine Seite repräsentiert wird, auch wenn eine der Seiten vielleicht nicht dem persönlichen Geschmack entspricht. So ist es in der Bregenzer Bibliothek. Hier kann man durch die Räumlichkeiten wandeln und sich von dem Wissen umgeben, überschütten lassen. Die hohen, lichtdurchfluteten Räumlichkeiten mit ihrer reichen Geschichte werden dabei zu einer zusätzlichen Informationsquelle. Die repräsentative Architektur hat die Bibliothek in Bregenz mit anderen großen Nationalbibliotheken gemeinsam. Doch es ist nicht nur das schöne Äußere, dass diese „Wissenstempel“ so oft zu Zielen von Extremisten, Terroristen oder Diktatoren macht. Meist sind sie zentral untergebracht, zählen zu den Sehenswürdigkeiten und wirken auch identitätsstiftend. „Ob das gut ist, wenn man sich einer Nation, einer Region zugehörig fühle, das sei dahingestellt, aber auf jeden Fall wirken Bibliotheken identitätsstiftend und wenn ich die Identität eines Landes, einer Bevölkerungsgruppe zerstören will, muss ich die Nationalbibliothek zerstören. Sarajevo ist da ein klassisches Beispiel. Dort wurde die Nationalbibliothek systematisch bombardiert und bis auf die Grundmauern niedergebrannt“, beklagt Thomas Feurstein. Auch in Syrien und im Irak zählten die Nationalbibliotheken neben Kirchen zu den ersten Opfern des sogenannten „Islamischen Staats“. Angesichts solcher Vernichtungsorgien bietet die Digitalisierung große Chancen. Thomas Feurstein erwähnte das Preisproblem bei E-Books, die für Bibliotheken um ein Vielfaches teurer sind als für Einzelpersonen, weil die Verlage den Verleih mit kalkulieren. Baut man diese marktwirtschaftlichen Hindernisse, die Bibliotheken bisher den digitalen Wissenserwerb und -bereitstellung erschweren, können beide Medien durchaus nebeneinander existieren und so den allgemeinen Zugang zu Bildung und Wissen erweitern. Sich Bildung anzueignen hilft auch, sich in der eigenen Geschichte zu verankern und Respekt für vergangene Generationen zu gewinnen. Eine der Haupterkenntnis aus einer solchen geschichtlichen Beschäftigung kann sein, dass die nachhaltigsten Revolutionen jene Bewegungen sind, bei denen Menschen Wissen vermittelt wurde. So hat das universitäre System, das in den Klosterschulen des Mittelalters begründet liegt, weitreichendere Folgen als die Kriege und Eroberungen derselben Epoche. Ein Besuch der Landesbibliothek Vorarlberg, in das Wissen eines Jahrtausends kumuliert liegt, hilft bei der Erkenntnis und der Hoffnung, dass die Feder auch in Zukunft stärker sein wird, als das Schwert.
Mag. Thomas Feurstein, Jg. 1964, ist Leiter der Abteilung Vorarlbergensien in der Landesbibliothek Vorarlberg in Bregenz. Er studierte Geographie und Germanistik und beschäftigte sich in seiner Diplomarbeit mit den Themen Landflucht, Urbanisierung, Migration. In seinem Gespräch mit Simon Jacob erklärte er, welche Bedeutung Wissen und Bildung für ein demokratisches, friedliches Zusammenleben haben.
Miriam Moißl
Wer Interesse hat die Vorarlberger Landesbibliothek zu besuchen, kann sich mit diesem Link nähere Informationen einholen
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