Leyla Güven: Hungerstreik – das eigene Leben als Druckmittel
Per Definition ist der Hungerstreik eine Form des passiven Widerstandes eines Einzelnen oder einer ganzen Gruppe. Hierbei wird durch die willentliche Verweigerung von Nahrungsaufnahme bewusst das Risiko in Kauf genommen, Schaden am eigenen Leib zu erfahren, bis hin zum Tod. Darin liegt auch der Unterschied zum Fasten, dessen Ziel und Zweck im spirituellen oder medizinischen Bereich zu finden ist. Der Hungerstreik wird zumeist als Protestmittel eingesetzt, um mediale Aufmerksamkeit zu erlangen, da sich der Streikende sehr wohl bewusst ist, dass er selbst, mit der Aktion alleine, keine Veränderung herbeirufen wird.
Hungerstreiks finden sich überwiegend in den Industrieländern auf verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Ebenen. So gab es gab es in Deutschland und in der ehemaligen DDR beispielsweise immer wieder im Zusammenhang mit den Stilllegungen von Bergwerken und Gruben Hungerstreiks. Diese fanden großen Anklang in den Medien, konnten jedoch die Schließungen letztendlich nicht verhindern.
Einer der bekanntesten Politiker im Hungerstreik war Mahatma Ghandi, der sich gegen Rassismus und für die Gleichberechtigung der Inder einsetzte. Als Führer der Unabhängigkeitsbewegung in Indien trug er mit gewaltfreiem Widerstand und Hungerstreiks wesentlich zum friedlichen Ende der britischen Kolonialherrschaft in Indien bei.
Aber auch gegen Haftbedingungen wird immer wieder gestreikt, wie zum Beispiel die ehemalige Ministerpräsidentin der Ukraine, Julija Tymoschenko, die von August 2011 bis Februar 2014 inhaftiert war. Sie führte ihren Hungerstreik unter anderem deswegen, da die medizinische Versorgung im Gefängnis nicht entsprechend gewährleistet gewesen sein soll. 2013 rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Inhaftierung als willkürlich und rechtswidrig.
Aktuell rückt der Hungerstreik von Leyla Güven verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Güven wurde erstmals bei den Wahlen vom 7. Juni 2015 in das türkische Parlament gewählt. Nachdem die HDP-Abgeordnete im November 2015 ihren Platz verloren hatte, setzte sie ihren Aktivitäten bei der kurdischen Bürgerinitiative „Demokratischer Gesellschaftskongresses (DTK)“ fort. Anfang 2018 wurde sie als Co-Vorsitzende des DTK wegen ihrer Kritik an der Invasion der türkischen Armee in den nordsyrischen Kanton Efrin festgenommen und inhaftiert. Seitdem befindet sie sich im Hochsicherheitsgefängnis Diyarbakir in Untersuchungshaft. Bei den letzten Parlamentswahlen am 24. Juni wurde sie aus dem Gefängnis als Abgeordnete für die Provinz Hakkari gewählt. Sie ist die einzige Abgeordnete der türkischen Republik, die zur Parlamentarierin gewählt wurde, aber nicht aus der Haft entlassen wurde, um ihr Amt ausführen zu können. Seit dem 8. November 2018 befindet sich Güven im Hungerstreik. Sie fordert die Aufhebung der Haftisolation des PKK Kurdenführers Abdullah Öcalan – nur so könne der Friedensprozess zwischen den Kurden und der Türkei wieder in Gang kommen. Artikel 90 der türkischen Verfassung hält fest, dass völkerrechtliche Verträge für die türkischen Gesetze gelten sollen. Isolation sei mit dem internationalen Recht nicht vereinbar und verstoße gegen die Einhaltung der Menschenrechte.
Aus medizinischer Sicht kann die Verweigerung von Nahrungsaufnahme bereits ab etwa drei Wochen zu ernsthaften, gesundheitlichen Schäden führen. Nach 69 Tagen der Nahrungsverweigerung befindet sich Leyla Güven, die über 15 kg an Gewicht verloren haben soll, in lebensbedrohlichem Zustand. So soll sie keinerlei Flüssigkeit mehr aufnehmen können und an Sprachstörungen und Bewusstseinsschwund leiden. Trotz ihrer schweren gesundheitlichen Probleme setzt sie jedoch den Protest fort.
Ihrem Hungerstreik sollen sich mittlerweile viele Menschen angeschlossen haben, darunter mehr als 150 Gefangene. Heute sollen sich auch die beiden inhaftierten ehemaligen Abgeordneten und Mitglieder der kurdischen Frauenbewegung Selma Irmak und Sebahat Tuncel angeschlossen haben.
Nur wenige Menschen haben vor Güven einen Hungerstreik so lange durchgehalten, bis sie starben. Hierzu gehören Holger Meins (1941-1974) von der RAF sowie Bobby Sands (1954-1981), Mitglied der IRA, der nach 66 Tagen Hungerstreik im Gefängniskrankenhaus verstarb. Sein Tod hatte in Nordirland gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demokraten, der Polizei und dem britischen Militär zur Folge.
Es steht zu befürchten, dass mit einem Tod Leyla Güvens das Vertrauen in eine demokratische Politik der Türkei weiter schwindet und es zu Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und Polizei kommt.
Daniela Hofmann
Bildquelle: Facebook-Seite Leyla Güven
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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