Religion, Macht, Politik – Neues Talkformat mit der vhs Gießen
Organisiert und koordiniert durch die vhs im Landkreis Gießen, in Kooperation mit künstLich e.V., der WIR – Koordination des Landkreises Gießen, Arbeit und Leben sowie der Initiative Know How für Nahost und Engagement Global, wurde ich am 25. Oktober 2018 als Nahostexperte ins beschauliche Lich eingeladen.
Nun, es war nicht die erste und wird auch nicht die letzte Podiumsdiskussion sein, die ich zum Thema Nahost und im Speziellen zu Syrien führte und führen werde. Doch ungewöhnlich und willkommen erfrischend anders waren die Gegebenheiten des hochinteressanten und spannenden Talkformats. Allein der Ort des Geschehens zeugte von einem originellen Gedanken. Die Kinokneipe der Stadt Lich, mit ihren gerade mal 13.300 Einwohnern, bot neben dem zum Gebäude dazugehörigen Nostalgie- und Kulturkino ein besonderes Ambiente. Als gemütlich, rustikal und zum Philosophieren einladend könnte man die Räumlichkeiten bezeichnen, die zu meinem Erstaunen mit über 60 Gästen, bestehend aus einem hohen weiblichen Anteil, Flüchtlingen und deutschen Mitbürgern mit nahöstlichem Hintergrund, gut gefüllt waren.
Auf die Frage hin, weshalb die vhs (Landkreis Gießen) gerade so ein Talkformat gewählt und damit Neuland betreten hat, antwortete der Koordinator der vhs, Thorsten Denker, mit den Worten:
Wir haben den vhsTalk als neues Format politisch-gesellschaftlicher Bildung entwickelt, um „brennende Themen unserer Zeit“ mit einem prominenten Gast zu erörtern. Dabei möchten wir Besucherinnen und Besuchern die Gelegenheit bieten, sich der eigenen Einsichten und Überzeugungen zu vergewissern, sie vielleicht auch zu hinterfragen, zu überarbeiten oder auch bestätigt zu bekommen.
Zudem ist uns der Dialog wichtig – einerseits zwischen dem fragenden Philosophen und Bühnenprofi Sven Görtz und dem Gast und andererseits mit dem Publikum.
Der vhsTalk steht für inhaltliche Tiefe, soll aber auch unterhalten und dabei Lust auf Lernen machen.
In diesem Zusammenhang ist die Kombination im Dialog zwischen dem Philosophen Sven Görtz und mir persönlich als Sachkundigen, und im späteren Verlauf mit dem Publikum, zu erwähnen. Der bekannte Autor, Hörbuchsprecher, Songwriter und Absolvent der Philosophie, Anglistik sowie Germanistik (Justus – Liebig – Universität Gießen) schaffte es, unter Anwendung des allgemein bekannten Marcel Proust Fragebogens (Link zum Fragebogen), meine persönliche Charakteristik, unter Anwendung gezielter Fragen und einer ausgewählt modulierten Stimmlage, dem Publikum auf einfache und sinnvolle Art näherzubringen. Im weiterführenden Gespräch, wobei Görtz als Fragessteller auftrat und ich entsprechend betont sachlich und objektiv antwortete, bekamen die Anwesenden Gelegenheit in ein an sich sehr komplexes Thema einzutauchen. Trotz der äußert knappen Zeit, bedingt durch die gezielte Konzentration auf elementare Fragen wie z.B. Clanstrukturen, geschichtliche Entwicklungen, Sexualität und Umgang mit dieser, aber auch ein Abschweifen in geopolitische Aspekte heutiger Zeit, entstand bei allen Anwesenden eine Wissensbasis, die am Ende der Interaktion zwischen Philosoph und Nahostexperte und Journalist zu einer angeregten Debatte mit den Zuhörern führte. Meine anfängliche Sorge, auch aus der Erfahrung mit unzähligen Vorträgen, Lesungen und Podiumsdiskussionen resultierend, dass ich mit schrillen, teils populistischen Auswüchsen konfrontiert werden würde, erwies sich als unbegründet. Der Austausch mit allen Teilnehmern, besonders zum Thema Sexualität, patriarchalische Strukturen, das Bild der Frau in nahöstlichen Gesellschaften sowie Hürden bei der Integration, verlief ruhig, sachlich und für mein Erfahrungsspektrum äußerst harmonisch.
Nicht zuletzt war dies auch der professionellen Leitung von Sven Görtz zu verdanken, der im Besonderen den Klang der eigenen Stimme gezielt einsetzte, um das ganze Event auszutarieren.
Persönlich wünschte ich mir, gerade nach dieser Erfahrung, dass wir auch in den Massenmedien, speziell in den TV – Talkformaten, mehr auf solch eine Balance setzen würden anstatt allem einen plakativen Anstrich zu geben, um für höhere Quoten zu sorgen.
Ich freue mich bereits jetzt auf die nächste Debatte innerhalb dieses Formates, welche am 22. November in Wettenberg-Krofdorf-Gleiberg (Link zur Veranstaltung) stattfinden wird.
Eine besonderer Dank ist auch an
- Malek Yacoub, Kommunalpolitiker SPD
- Istayfo Turgay, Ehrenamtlicher Kreisbeigeordneter (SPD) und Leiter des Dezernat IV im Landkreis Gießen, Ressort Integration, Antidiskriminierung und Teilhabe
- Lion Ilia, politischer Aktivist, Maschinenbauingenier
zu richten, die als Vertreter ihrer jeweiligen Parteien, Organisationen und Suryoye vor Ort waren, um sich selber ein Bild von einer äußerst erfolgreichen und harmonischen Politdebatte, ohne schrille und aggressive Töne, zu machen.
Sehr erfreut war ich über die Teilnahme zweier Flüchtlinge, Fikri Bilgic und Maria Roham, die an einem Flüchtlingsprojekt, koordiniert durch die Organisatoren, beteiligt waren.
Dem Veranstalter ist für das neue Format ausgiebig zu danken.
Simon Jacob,
31.Oktober 2018
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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