Ort: Gütersloh, Deutschland
3rd - Assyrian European Convention 2018
Im Geschichtsunterricht nimmt man, zumindest im westlichen Raum, lediglich im historischen Kontext Bezug zur Ethnie der “Assyrer”. Zweimal expandierte das Volk aus dem Zweistromland sein Territorium bis weit in den kaukasischen und auch nordafrikanischen Raum hinein, bis es von den Persern besiegt wurde und die Ethnie der Assyrer sich über mehrere Territorien verteilte.
Vor über 100 Jahren, während der Implosion des Osmanischen Reiches, manifestierte sich bei den noch verbliebenen Assyrern, die nicht in der Gänze im persischen und osmanischen Reich assimiliert wurden und eine gemeinsame Sprache, Tradition und Religion (Christentum) als verbindendes Erbe betrachteten, der Gedanke der Nationalfindung. So wie viele andere Ethnien auch, die im Modell des Nationalstaates, die laizistische Republik Frankreich betrachtend, ein erstrebenswertes Ziel sahen.
Während des Ersten Weltkrieges und in den Wirren danach, oft sowohl zwischen den britischen und französischen Kolonialmächten als auch kurdischen und arabischen Warlords aufgerieben, flüchteten viele der indigenen Assyrer aus dem heutigen Irak, dem heutigen Iran, dem türkischen südostanatolischen Raum und auch Nordsyrien in Richtung Westen. Es entstanden starke Communities, beginnend vor über 100 Jahren, in den USA an der Ostküste, in Australien, Kanada und Europa mit Schwerpunkten in Schweden, den Niederlanden und Deutschland. Ein weiteres Merkmal der assyrischen Nationalbewegung, die bis heute bestrebt ist in der Urheimat, der Ninive – Ebene im Irak, Autonomie zu erlangen, ist der Gedanke der strikten Trennung zwischen Religion und Staat. Gerade dieser Aspekt der frühen Säkularisierung, die bereits im Nahen Osten während der nationalen Erweckung begann, führte zu einer Spaltung christlicher Denominationen aus dem Nahen Osten mit der Kirche, im Besonderen mit der syrisch – orthodoxen, die im Westen mit der kirchennahen Neugründung der „aramäischen“ Ethnie als Nationalbewegung ihren Höhepunkt fand. Im politischen Kontext betrachtet erkennen Länder wie z.B. der Iran, Armenien, der Irak und Georgien die Assyrer als eigenständige Ethnie an. In der Türkei wie auch in Syrien, bis auf assyrische Enklaven im Khabour Tal, ist der Begriff „Suroye, Suraya oder Surayit“, als Oberbegriff für aramäischsprachige Ethnien, bekannt. Die meisten von ihnen sind Christen, aber nicht nur. Inzwischen hat Israel, meines Wissens nach als einziger Nationalstaat, die „Aramäer“ als Ethnie anerkannt.
Seit dem Exodus aus dem Nahen Osten vor über 100 Jahren hat sich gerade innerhalb der assyrischen Gesellschaft eine Bildungssicht gebildet, die zeitweise, beseelt vom modernen Nationalgedanken, in der Kunst, der Philosophie, der Wissenschaft, der Literatur wie auch weiteren Geistes- und Naturwissenschaften, Erfolge erzielte. Grundlage für die Schaffung neuen Wissens und der Annahme moderner Weltanschauungen, wie z.B. dem modernen Humangedanken, waren und sind weiterhin politische und gesellschaftliche Organisationen. Eine dieser Organisationen ist die ACE – Assyrian Confederation of Europe. Organisiert sind in der europäischen Struktur, die auch einem aassyrischen Weltverband angehört, europäische Vereine, die vorwiegend regional in Schweden, den Niederlanden, Deutschland, Österreich und der Schweiz verteilt sind. In Deutschland ist unter diesen der ZAVD bekannt (Zentralverband Assyrischer Vereine Deutschland), welcher die Vereinsstruktur mit seinen weiteren Organen koordiniert und organisiert. In diesem Zusammenhang haben sich in den letzten Jahren weitere, teils eigenständige Strukturen gebildet, wie z.B. die AJM (Assyrische Jugend Mitteleuropa), die sich speziell um die Angelegenheiten der Jugend bemüht wie auch ein eigenständiger Frauenverband. Medial ist man mit einem Streaming - Sender aktiv (Assyria TV), der in Konkurrenz zu anderen Sendern wie Suroyo TV und Suroyo Sat steht. Gemein ist allen Sendern, dass sie für mitteleuropäische Verhältnisse teils recht plakativ und schrill in Erscheinung treten. Was immer wieder, gerade wenn es um Entwicklungen im nahöstlichen Raum geht, befeuert durch die sozialen Medien, zu massiven territorialen und temporären Auseinandersetzungen führen kann. Die Gesellschaft im europäischen Raum bekommt diese Konflikte nur am Rande mit. In der Regel erfahren diese dann einen verbalen Ausbruch, wenn es zu politischen Treffen verschiedenster Organisationen kommt, die oft um die Deutungshoheit politischer und christlich – religiöser Gegebenheiten in den verschiedenen Regionen konkurrieren. Hierbei spiegelt sich ein ähnliches Verhaltensmuster wie bei anderen nahöstlichen Ethnien bzw. Religionsgemeinschaften wider. Die Meinungshoheit über das Schicksal der in der früheren Heimat verbliebenen Angehörigen löst Konflikte aus, die von anderen Protagonisten, im religiösen wie auch politischen Rahmen, oft zum Schaden der Organisationen instrumentalisiert werden.
Um dieser Entwicklung auf einer qualitativ hochwertigen Ebene entgegenzuwirken, veranstaltete die ACE (Assyrian Confederation of Europe) am 13./14. Oktober eine Informationsveranstaltung mit hochkarätigen Gästen aus Spanien, den USA, dem Irak und Deutschland. Die Vorsitzende der ACE, die 45-jährige Attya Gamri, die ihre Wurzeln in der Südosttürkei hat (Tur Abdin), betonte leidenschaftlich und ausgiebig die Bedeutung qualitativ gehobener Veranstaltungen, die dem demokratischen Konsens und dem internen Austausch geschuldet sind, da medial oft Falschmeldungen und die Verbreitung falscher Tatsachen, neudeutsch „Fake News“ genannt, zu massiven Verwerfungen in der gesamten europäischen Gesellschaft führen. Dem entgegenzuwirken ist die Pflicht demokratischer Strukturen. Diesen Zweck erfüllte die Vorsitzende der ACE mit der Initiierung der Plattform. Bemerkenswert ist auch, dass die Parlamentsabgeordnete der niederländischen Provinz Overijssell, durch politische Veranstaltungen die Rolle der Frau intensiver in den Vordergrund rücken möchte.
„Wir brauchen Vorbilder, um patriarchalische Strukturen aufzubrechen“, so die Aussage der mehrfachen Mutter im Interview.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Der Organisation ist zu wünschen, dass sie sich weiterhin, im politischen Rahmen, für Demokratie und Menschenrecht einsetzt.
Dem ausscheidenden Vorsitzenden des ZAVD, Johann Roumee, ist explizit zu danken, dass ich in meiner Funktion als Journalist und Nahostexperte zur Veranstaltung eingeladen wurde.
Eine Aufzählung aller beteiligten Referenten folgt weiter unten.
Simon Jacob,
Augsburg, den 31. Oktober 2018
Beteiligte Referenten:
Ninveh Ermagan, freischaffende Aktivistin und Bloggerin
Imad Izaddin Haji, Nabu Stiftung für Menschenrechte – Jesiden
Ashur Sargon Eskaray – Irak, Ninive – Ebene, NGO
Reine Hanna – Assyrian Policy Institute, USA, https://www.assyrianpolicy.org/
Abud Gabriel, ACE Belgien
Attiya Gamri, Vorsitzende ACE Europa
Professor Efrem Yildiz, Spanien
Ninos Ternian, Assyrian TV USA
Sanharib Ninos, Genozid Experte
Simon Jacob, freier Journalist und Nahostexperte
Künstlerischer Akt:
George Isho, Deutschland
Madlen Ishorva, Russland
Bildquellen und Copyright:
ZAVD Deutschland, Berliner Str. 113, 33330 Gütersloh
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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