Der Artikel ist Teil einer mehrteiligen Serie mit Berichten und Videos über die Situation in Nordsyrien/Nordirak, entstanden im Frühjahr 2018 - Der Auftaktartikel kann HIER nachgelesen werden.
Sheikh Mohammed Saeed Al Hakeem : "Der IS kam nicht von heute auf morgen"
Gegen 13:00 Uhr, nach dem Besuch bei seiner Exzellenz Sheikh Ali Al Najaf, werden wir in einer der vier wichtigsten schiitischen Scholarschulen des Iraks empfangen. Seine Exzellenz, Sheikh Mohammed Saeed Al Hakeem, heißt unsere Delegation in Anwesenheit seines Sohnes Sayed Ezzuldeen Al Hakeem, den wir am Tag zuvor kennenlernen durften sowie weiterer Kleriker, die dem einflussreichen Hause Al Hakeem angehören, willkommen.
Inhalt des Gesprächs waren nicht nur die Gegenwart und die Zukunft des Iraks. Um die Zukunft der gesamten Region zu gestalten, nicht nur den Irak betreffend, muss zunächst ein Schlüsselfaktor in der Geschichte des Iraks betrachtet werden, welcher auf die Besatzung der US – geführten Koalition zurückzuführen ist und so Ereignisse in Gang setzte, die letztendlich zur Entwicklung des IS massiv beigetragen haben. „Der Terror begann ab 2003“, so der hohe Geistliche Al Hakeem. Und dieser war das Resultat verschiedenster Konstellationen. Zum einen vermochten es die schwachen Strukturen des Staates nicht, dem Terror Einhalt zu gebieten. Zum anderen trugen im Besonderen die Medien dazu bei, anfangs Satelliten TV und später die Sozialen Medien, dass sich eine Spirale der Gewalt drehte und die Gesellschaft gespalten wurde. Gerade die starke Propaganda des IS in den Medien, von Anfang an als Strategie der Terrororganisation ausgelegt, hat dazu geführt, dass Menschen aus Regionen geflohen sind, aus denen sie nicht hätten fliehen müssen. Dies hatte es Daesh, wie der IS im Arabischen genannt wird, leicht gemacht, ganze Regionen schnell und ohne Widerstand zu besetzen. Das führte zu massiven Flüchtlingswellen im Inland und betraf auch Europa, weil viele Menschen auch im Westen Schutz suchten. Warnend betonte der hohe Geistliche, dass im Besonderen Deutschland dadurch auch als Flüchtlinge getarnten Extremisten vorschnell die Türen geöffnet hat.
Zurückkommend auf Lösungsvorschläge und die Frage, ob nach der Rückeroberung Mossuls der IS nun besiegt wäre, hatten alle Anwesenden eine klare Antwort: „Der IS kam nicht von heute auf morgen und ist lediglich geschwächt, aber weiterhin aktiv.“
Der Lösungsansatz, der sich nun andeutet, erstaunte die anwesende Delegation doch recht positiv. In Anlehnung an die verheerenden Kriege in Europa, die die Bevölkerung dazu brachte über den Krieg im Allgemeinen und seine Folgen im Besonderen nachzudenken, müssten auch die einzelnen Fraktionen im Irak aus den verheerenden Fehlern der Vergangenheit lernen. Dass man Extremismus und Unmut nicht alleine mit Waffen besiegen kann, war eine deutliche Aussage des hohen Geistlichen. Sicherheit, Strukturen, Investitionen und Zukunftsperspektiven, bei gleichzeitiger Bekämpfung der Korruption, wären vonnöten. Das werde aber nicht funktionieren, solange nicht alle Gesellschaftsschichten des Landes, einheitlich in einem Staatsgebilde vereint, an einem Strang ziehen und die Macht aufteilten. In einem konföderalen System, so wie von den Kurden im Norden gefordert, sieht man allerdings keine Zukunft. Dadurch würden Teile des Landes nur noch mehr zum Spielball regionaler Akteure werden, was wiederum zu noch mehr Konflikten führen könnte.
„Vertrauen wieder aufbauen“, so die abschließenden Worte von Sheikh Mohammed Saeed Al Hakeem, wäre der Schlüssel für einen Anfang und langfristigen Frieden. Doch dies müsse der Irak alleine, ohne Einmischung von außen, schaffen. Eine Meinung, der alle Anwesenden einhellig zustimmten.
Mein persönlicher Dank gilt sowohl dem Hause Al Hakeem und dessen Familie, als auch unserem Begleiter und Koordinator, Sayed Ali El - Badry, welcher diesen Besuch in einer Hochsicherheitszone erst ermöglichte.
Simon Jacob
27. Februar 2018, Najaf/Zentralirak
Bildquelle: alhakeem.com
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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